»Ein offener Feind ist uns lieber als ein falscher Freund« – Gerald VDH kommentiert Andreas Gabaliers »Liebe leben«

Der DJ, Veranstalter und Labelhead Gerald VDH (Meat Market, Meat Recordings) hält wenig von Andreas Gabaliers Versuch, sich der gleichgeschlechtlichen Liebe gegenüber offen zu zeigen. Problematisch sei auch der mediale und gesellschaftliche Umgang mit Gabalier, dessen neuem Lied und dem Thema Pinkwashing im Allgemeinen.

© Anna Breit

Seit Andreas Gabalier sein Loblied über gleichgeschlechtliche Liebe vorgelegt hat, muss ich mir von weißen, heterosexuellen Cis-Männern erklären lassen, warum ich engstirnig und kleinlich bin, wenn ich mich über Pinkwashing mokiere. Es ist derselbe Reflex, der denselben Typ Mensch entnervt mit den Augen rollen lässt, wenn sich BIPoC über respektlose Cultural Appropriation durch privilegierte Weiße beschweren. Dazu kommt schallender Applaus für den Falter, der den bisher widerlichsten und eklatantesten Fall von Pinkwashing im deutschsprachigen Raum strukturell mit einem Interview unterstützt.

Ich sage es in aller Deutlichkeit: Ich habe es satt, mir von Heten vorschreiben zu lassen, wann mich etwas ärgern und verletzen darf. Die Selbstherrlichkeit, mit der man den Transen, Lesberln und Schwuchteln zuruft, dass sie sich bitte nicht so aufregen sollen, ist bevormundend. Pinkwashing ist ein Problem. Wenn Personen, Unternehmen und Politiker*innen sich bevorzugt im Pride Month Juni zu den Anliegen der LGBTIQ+ bekennen und damit Aktivismus und Willen zur Veränderung heucheln, dann ist das kein Fortschritt, sondern ein Ablenkungsmanöver. Es entsteht dabei ein Schaden für die Anliegen unserer Community.

LBGTIQ+ haben es nämlich trotz dieser Lippenbekenntnisse schwieriger an Jobs und vor allem in gut bezahlte Positionen dieser vermeintlich toleranten Unternehmen zu kommen. Sie sind in der Politik weiterhin unterrepräsentiert. Fortschritt findet schleppend langsam statt. In Österreich musste beispielsweise die Ehe für alle gegen den Willen der Regierenden von der Justiz erzwungen werden. Wie eine aktuelle Studie der Europäischen Kommission zeigt, können hierzulande 45 Prozent der LGBTIQ+ ihre Sexualität und Persönlichkeit nicht offen ausleben. Psychische Krankheiten und Selbstmordrate liegen deutlich über dem Durchschnitt der Gesellschaft. Und: Gabalier wird bald wieder Interviews geben, in denen er über Genderwahn und Heteros als Opfer einer homosexualisierten Gesellschaft schwadroniert. Er wird weiterhin seine Hits singen, in denen traditionelle Rollenbilder, veraltete Arten, Kinder zu bestrafen, und christliche Werte verherrlicht werden.

Schlichtweg unglaubwürdig

Doch der Mainstream jubelt: Wenn sogar Andreas Gabalier nun sein Engagement für Homos entdeckt, dann kann es ja wohl kaum so schlimm sein, oder? Und genau hier liegt der Trugschluss, der so gefährlich ist. Der Volks-Rock-’n‘-Roller hat nur den Homo-Dollar entdeckt. Eine wunderliche Änderung der Haltung, die noch vor wenigen Monaten komplett konträr war und bei jeder Gelegenheit verlautbart wurde, ist schlichtweg unglaubwürdig. Sie kommt in einer Zeit, in der Homosexuelle zur Zielgruppe der Schlagerindustrie wurden. Kerstin Ott besingt Regenbogenfarben, Helene Fischer ist längst eine Schwulenikone und auch Michelle tritt regenbogenfahnenschwingend bei Pride-Events auf.

Der Falter unterstützt – just in dieser Zeit, man hätte ein kritisches Interview wohl auch verschieben und in einigen Wochen oder Monaten bringen können – den Rechtsrocker strukturell mit einem großen Interview. Aber natürlich kritisch. Und wer soll diese Kritik üben? Logo! Drei weiße Cis-Hetero-Dudes. Na dann: Happy Pride, ihr dummen Homos.

Andreas Gabalier »Liebe leben« (Screenshot aus dem Musikvideo)

Wenn Gabalier tatsächlich aus seinen Fehlern gelernt und ein echtes Interesse daran hätte, sich für gleichgeschlechtliche Liebe einzusetzen, hätte er zuallererst ein paar Tausender an die Queer Base spenden und in einem großen Krone-Interview verlautbaren können, dass er es begrüßt, wenn sich zwei erwachsene Männer im Tiergarten Schönbrunn küssen. Er könnte sich für LGBTIQ+-Themen als fixen Bestandteil von Lehrplänen in Schulen einsetzen und homophobe Menschen öffentlich von seinen Konzerten ausladen. Er hat nichts dergleichen getan und wird es auch nicht tun. Der Macker hat genauso wenig Interesse daran, Homophobie zu bekämpfen, wie diese Typen beim Falter, denen beim bisher grauslichsten Fall von Pinkwashing in der DACH-Region nichts Besseres einfällt als ein »kritisches Interview«.

Andreas Gabalier hätte einen großartigen »Dolm der Woche« abgegeben. Die so freigewordene Doppelseite hätte man dann für Beiträge von LGBTIQ+-Personen über Pinkwashing nutzen können. Das hätte natürlich den Ullis, Bodos und Marios bei ihrem Frühstückskaffee nicht so gut geschmeckt, wie eine pseudo-kritische Normalisierungssession, durchgeführt von der Lichtgestalt Florian Klenk und seinen Adlaten. Jawoi, Flotschi. Des woin de Leut hean.

Opferfolklore in Orkanstärke

Ich habe in den letzten Tagen gefühlt hundert Foren zum Thema studiert. Es ist wirklich putzig, wie leidenschaftlich sich zahlreiche Prachtexemplare des Typs Cis-Hetero-Mann nun berufen fühlen zur Verteidigung der drei Falter-Musketiere auszurücken, die den Andi nämlich mit so richtig kritischen Fragen ins Schwitzen gebracht haben. Schmecks. Die Kritik fühlt sich im fertigen Artikel maximal an, wie ein laues Lüftchen. Dafür gibt es Opferfolklore und Rechtfertigungspolka in Orkanstärke. Die Tatsache, dass diese Art des »kritischen Journalismus« vor allem bei dieser Zielgruppe auf tosenden Beifall stößt, macht auch klar, worum es in Wahrheit ging: Auflage, Auflage und nochmals Auflage.

Es steht euch nicht zu mir auszurichten, ob Pinkwashing ein Problem darstellt. Ihr könnt Andreas Gabalier und seine Komplizen vom Falter abfeiern und verteidigen. Aber dann seid ihr Teil des Problems. Der Pride-Monat ist die Zeit, in der LGBTIQ+ ihre Liebe und ihr Leben feiern. Aber es ist auch eine Plattform, um auf die Missstände und Herausforderungen aufmerksam zu machen. Wenn ihr Pinkwashing ins Lächerliche zieht und nicht als Problem wahrnehmen wollt, dann spart euch bitte auch eure peinlichen Pride-Postings. Ein offener Feind ist uns dann doch lieber als ein falscher Freund.

Der Autor Gerald VDH ist unter anderem Veranstalter der Partyreihen Meat Market und Fish Market, die weit über die schwule und queere Techno-Community hinaus regen Anklang finden.

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