„Ein bissl mehr drauf g’schissen“

Garish, eine der längstdienendsten Indiebands Österreichs, veröffentlicht dieser Tage ihr fünftes Studioalbum mit dem Titel „Wenn dir das meine Liebe nicht beweist“. Nikolaus Ostermann hat Sänger und Textminister Thomas Jarmer zum Gespräch über Aufbrüche, Umbrüche und Entwicklungen der Kombo aus dem Burgenland getroffen.

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Der frisch gebraute Kaffee duftet, im Hintergrund knackst der Holzofen und verströhmt wohlige Wärme. Die Arbeiten zum neuen Album von Garish sind längst abgeschlossen und man merkt dem Musiker ein gewisse Zufriedenheit an. Es hat sich einiges verändert seit 2007 ihr letztes Album „Parade“ erschienen ist. Neue Herangehensweise haben Einzug gehalten im Hause Garish, man geht in die Offensive. Warum das so ist, was die neue Platte ausmacht und warum sie nicht Österreichs Radiohead sind, darüber erzählt Thomas Jarmer im ausführlichen Interview.

Euer Debütalbum "Amaurose Pur" ist vor über 10 Jahren erschienen. Hast du noch Bezug zu euren alten Sachen?

Wenn so viel Zeit dazwischen ist, wird dieser Anfang, den die Sachen damals genommen haben, wieder mehr erkenntlich. Durch das viele Touren wird das schnell zur einer Art Lautmalerei und sobald man den Kopf mit der Zeit frei hat und die Automatismen auf der Bühne beginnen zu greifen, tritt das ein wenig in den Hintergrund. Mein Vater hat nicht viele CDs im Auto, aber die „Wo die Nacht erzaehlt vom Tag“ (2002, Anm.) hat er auch. Wenn ich ab und zu mit seinem Auto unterwegs bin, hör ich dann auch wieder rein und mit der Distanz hat das schon ein bisschen was Fremdkörperartiges, als hätte man es nicht selber gemacht. Das ist immer wieder ganz angenehm, wenn man einfach nur zuhören kann. Beurteilen und in die Beobachterrolle schlüpfen kann man immer erst lange Zeit nach dem eigentlichen Schaffensprozess.

Während dem Schreiben ist es schwer einzuordnen, auch was die nachhaltige Bedeutung angeht; welchen langen Arm Sachen haben, die im Moment passieren, man aber die Tragweite noch nicht abschätzen kann. Mit der Distanz wird dieser Blickwinkel auch möglich, worauf sich das sich in der Situation auch bezogen haben mag. Man weiß mehr über den Moment der eigentlich schon soweit zurück ist, als in dem Moment selbst. Die Rückschlüsse die sich bis in die Gegenwart ziehen können haben eine eigene Qualität, die schon sehr zufrieden macht.

Wie schwierig ist Entwicklung für Garish?

Man entwickelt sich in unserem Fall prinzipiell auseinander. Weil jeder unterschiedliche Vorlieben und Nebenprojekte hat, die es diesmal aber schon leichter gemacht haben zu differenzieren und auch die Ego-Sache in den Griff zu kriegen: Wie viel muss von mir dabei sein und wie wenig sollte von mir dabei sein, damit die Sache gut wird. Also dass nicht jeder die sein Fünftel Verantwortung wahrnehmen muss, dass es keinen Pflichtteil gibt. Und da ist auf der anderen Seite auch eine andere Verteilung notwendig, die auch möglich sein muss. Es ist sowas wie ein ungeschriebenes, gefühltes Gesetz zwischen uns gewesen, dass man sich zu gleichen Teilen Rechte/ Pflichte/ Verantwortungen, die ja ein soziales Gefüge sind, auch zuschreibt und das ist diesmal so richtig aus den Angeln gehoben worden.

Im kreativen Prozess hat sich das dahingehend ausgedrückt, dass plötzlich Platz da war. Wo keiner gewohnt war, sich mehr rauszunehmen als ein anderer. Deswegen haben wir beschlossen, bevor wir mit der Arbeit an der Platte richtig begonnen haben, dass jeder seine Abteilung, sein Ministerium, zur Verfügung stellt für den, der Hand anlegen will. Das hat dahingehend sehr gut funktioniert, dass wir generell weniger Diskussionsbedarf hatten.

Es war diesmal so, dass großteils nicht der Fünfer als solches, sondern jeweils eine gewisse Gruppierung federführender war und die anderen haben mitgezogen. Deswegen ist es musikalisch auch so homogen wie noch nie geworden.

Gilt das auch für die textliche Ebene?

Die Texte sind immer mein Fall, aber das ist auch immer wieder so ein Auf- und Abtauchen. Ich schreibe eigentlich nur für Musik, dann wenn sie da ist. Dazwischen tut sich nur immer wieder ein Sammeln von Wortfetzen und Ideen auf. Diesmal war beim Text die Notwendigkeit da, im Unterschied zur letzten musikalischen Ausgangslage, mit den Vorgaben der Musik Schritt zu halten, auch weil sich viel verändert hat in der Attitüde und der Herangehensweise, die diesmal viel intuitiver war. Ein bissl mehr drauf g‘schissen, ein bissl mehr aus dem Bauch raus und sich nicht zu viel Kopf zu machen, was man ja normalerweise gerne macht. Dinge zu zerdenken, zu zerreden. Thomas Pronai (The Beautiful Kantine Band, Anm.), der die Aufnahmen geleitet hat, hat im Vorhinein gesagt „Überlegt’s nicht großartig , wir gehen nächste Woche ins Studio und fangen an. Dann hörts wie’s tuat und is.“, was schon viel Druck genommen hat und ich bin sehr zufrieden damit, was sich dann ergeben hat.

So heterogen die Platte musikalisch ist, sie hat keinen Bruch in der Stimmung und wirkt wie aus einem Guss.

Das passiert aufgrund dessen, weil der Text immer der Part ist, auf den alle warten müssen. Ein ständiges Vertrösten, auch weil das für mich immer eine irrsinnige Konzentrationsarbeit ist. Ich hab währenddessen in Wien gewohnt, da war es unmöglich vom Fleck zu kommen und ich habe drei Tage an einer Zeile herumgeschissen. Wir sind dann hinausgezogen – also nicht deswegen – und ich hab dann gemerkt sobald – man ist ja auch drauf geeicht, wenn man so aufgewachsen ist und sich in der Art und Weise wieder findet – sobald es draußen ruhiger und flacher wird und die Ablenkung einfach so rapide abnimmt, macht sich gleich die ganze Bandbreite auf du kriegst ein Gefühl für und wirst viel sensibler auf kleine Sachen und es entwickelt sich so ein gesamtheitliches Gefühl für die textliche Komponente, wie sie die ganze Spannweite der Platte besiedeln soll.

Dass das sich das Ganze so homogen anfühlt liegt eher daran, dass das alles ganz dicht beieinander passiert und auch sehr verzahnt ineinander ist. Da wo eine Geschichte aufhört, knüpft eine andere an. Oder so schachteltextartig, dass manche Texte mittendrin auf der Strecke abbiegen und eigentlich eine neue Geschichte beginnt, was ein sehr angenehmes Arbeiten ist um bei der Sache zu bleiben und das ganze als drehendes Vehikel aus vielen verschiedenen Richtungen betrachtet werden kann.

Kannst du die Stimmung der neuen Platte in einem Wort beschreiben?

Eine Aufbruchstimmung ist auf jeden Fall da, obwohl das widerum das davor in einem Licht erscheinen lässt, was auch nicht wirklich der logische Schluss ist.

Im Sinne von Stillstand?

Entweder das oder große Unzufriedenheit, die dich dazu veranlasst aufzubrechen, was sich nicht zwingend auf die Musik oder das was wir davor gemacht haben bezieht. Wenn man über das Jetzt spricht, heißt noch lang nicht, dass alles was davor kam, oasch war. Es macht aus dem davor das hässliche Entlein, das es nicht war. Es war ein Schritt, der notwendig war, um sich einzupendeln in den Bereich, in dem man gerne ist und wo man sich gut fühlt. Beim letzten Mal („Parade“, 2007, Anm.) haben wir sehr viel konzeptionell gearbeitet und das hat zwar gut funktioniert, aber für uns ist mehr drin in die Richtung, dass wir einfach mal locker lassen und schauen was passiert. Dass man nicht über alles die Kontrolle hat, sondern dass man die Unbekannte maßgeblich sein lässt im Schaffensprozess.

Es bezieht sich also nicht auf das vorherige Schaffen, sondern darauf, dass in gewisser Art das Maß voll ist, wenn es darum geht, dass man Sachen passieren sehen will und nicht ständig nur Redereien um die Ohren geklatscht bekommt. Das Gefühl das man intus hat, in dem kleineren oder großeren Gefüge betrogen und verscheissert zu werden, wenn man nicht den Mund aufmacht. Das Gefühl war schon ein sehr treibendes dabei.

Es war bis jetzt nie Bestandteil der Texte, die Unzufriedenheit oder eben ein Stück Wut, weil es auch zur Musik nicht gepasst hätte. Und auf gewisse Art und Weise hat die Musik diesmal dazu auch die Rutsche gelegt, weil sie es ermöglicht hat dass man auch diesen Anteil mit rein nimmt, der eh immer da ist. Es heißt ja nicht, dass wenn man solche Sachen wie bisher macht, dass sich die Unzufriedenheit und die Wut auf vieles was einem entgegenschlägt, nicht vorhanden wäre, aber dass es sich diesmal als treibende Kraft gemeinsam mit der Musik gut anfühlt, auch auf der Bühne. Bei den Proben hat man schon gemerkt dass man auch als Kollektiv eine Form gefunden hat, die sehr angenehm ist. Weil auch diese „Frontman und Band“- Geschichte – wer das Ruder in der Hand hat – ja gefühlt nie der Fall war, sondern von außen kommt. Es fühlt sich gut an, dass auf der Bühne diesmal alle den Mund offen haben und es kommt als Kollektiv rüber. Es ist schön, wenn deine Leute mit dir die Dinge singen, die dir durch den Kopf gehen. Das ist eine eigene Disziplin. So wie wenn die Leute von unten beginnen mitzusingen. Das als mehrstimmiges Ding im Kopf und um die Ohren zu haben ist schon super.

Die Texte auf „Wenn dir das meine Liebe nicht beweist“ stellen es dem Zuhörer frei, die Aufbruchsstimmung für sich selbst zu interpretieren, aus welcher Richtung kommen sie ursprünglich?

Es ist immer schwer da eine allgemein gültige Relevanz für diese Sachen zu finden, dass es in die oder die Richtung geht. Eine Richtung ist schwerer anzugeben als ein Ursprungspunkt, der kurz erklärt ist. Es sind Dinge die im persönlichen Umfeld passieren, innerhalb der Leute, die man auch sehr gut kennt, wo auch die Berechenbarkeit sehr viel mitspielt, wo natürlich auch viel im Kombo-Umkreis stattfindet. Man kann nicht wegleugnen, dass die Position und auch die Chronologie der Gruppe sehr mitspielt. Der Titel ist eigentlich recht zufällig gewählt und ich bin dann erst durch einen Freund darauf aufmerksam geworden, dass das für ihn den ersten Rückschluss ergeben hat: „Also wenn euch das jetzt nicht reicht, dann leckts uns am Oarsch.“ Eine Attitüde, die sicher mitspielt. Darauf kommen wir aber auch erst jetzt, wo die ersten Antworten kommen. Ich hatte einen anderen Ursprung und es ist spannend zu sehen wie unterschiedlich die Leute dann interpretieren. Ich hab schon das Bedürfnis konkreter zu werden, weil es immer geheißen hat kryptisch und verschlüsselt…

Die ewig alte „die Radiohead aus dem Burgenland“-Geschichte?

Ich kann das schon lang nimmer hören. Das haben sie schon im Jahr 2000 gesagt und das hängt dir nach. Genauso wie dir nachhängt, dass wir die feinsinnigen und sensiblen und schöngeistigen Herren aus dem Burgenland sind, was natürlich zum Teil hausgemacht ist, einfach wenn man mit einer gewissen Präsenz auftritt. Aber dass wir trotz alledem g‘scherde Burgenländer sind, die einen derben Schmäh haben, das ist die Geschichte die man gerne ausspart. Man wird darauf festgenagelt – wie auf der Radiohead-Geschichte – und wenn man das ständig gesagt bekommt… Das sind Dinge, die in der Wahrnehmung der Leute dann einfach so sind und ich hab das Gefühl, dass man sich sehr weit hinauslehnen kann, bis so ein Bild bricht.

In unserem Fall kann man sich scheinbar sehr viel erlauben, bis da in gewisser Art die Ignoranz was den aktuellen Stand der Dinge angeht, gebrochen wird. Veränderung passiert ständig, in unserem Fall besonders, weil immer viel Weg zwischen den Platten war und diesmal noch mehr und du dich um so mehr verstanden und angekommen fühlst, wenn das auch als solches wahrgenommen wird. Und die Leute nicht Sachen interpretieren und hineinstopfen, die vor 5 Jahren waren. Man hat das Gefühl, dass die Leute es gerne haben, Bescheid zu wissen über Dinge wie sie sind, ohne dabei Veränderungen zuzulassen. Und das finde ich auf eine gewisse Art und Weise grauslich auch.

Das neue Album von Garish "Wenn dir das meine Liebe nicht beweist" erscheint am 19. Feber via Ink Music.

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