Johnny H.

In unserer Reihe "Mein liebster Feind" fragen wir LiteratInnen, MusikerInnen und kreative Menschen im Allgemeinen, wen sie mit einer gewissen Zärtlichkeit verachten. Das können Institutionen, Menschen aber auch Tiere sein. Im Fall von Journalist Stefan Apfl ist es der Spielplatz-Rivale.

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Der früheste Eintrag auf meiner inneren Liste gehört Johnny H. Die frühen 90er Jahre am Land. Ich hatte eine Brille und er eine Motocrossmaschine, meine Welt waren die Bücher, seine die Straßen. Irgendwas an dieser Konstellation dürfte er persönlich genommen haben. Es gab damals die Au, den Chinesen und den Spielplatz. Die Au war groß genug für uns beide. Und für den Chinesen, wo die Dorfjugend verschämt kleine Biere bestellte, waren wir beide zu jung. Es war der Spielplatz, auf dem unsere Reviere sich überlappten. Aus seinem Mund hörte ich dort die ersten Gewaltandrohungen und wie mein Name gerülpst klingt, von Obstwitzen ganz zu schweigen. Es war wohl einfach seine Art mit Menschen umzugehen, die anders waren. Irgendwann waren wir zu alt für den Spielplatz, Johnny und ich, unsere Reviere dehnten sich in unterschiedliche Richtungen aus. Er Hauptschule, ich Gymnasium, er Heer, ich Zivildienst, er Jungvater, ich Studium. Und irgendwie blieb er doch bei mir. Wenn wie zuletzt nach der Präsidentschaftswahl von den beiden Österreichen die Rede ist, die nebeinander leben und einander doch unbekannt, ja feindselig gesinnt sind, dann denke ich an Johnny und mich: An zwei, die im selben Dorf aufgewachsen sind, aber nicht in derselben Welt. An zwei, deren Reviere wohl vorgezeichnet waren, durch Eltern, Bildung, Interessen. An zwei, die trotzdem hätten Freunde sein können. Der Chinese im Dorf hat längst zugesperrt und Johnnys Kind muss heute so alt sein wie wir damals. Würde ich den beiden beim nächsten Landbesuch zufällig begegnen – ich weiß nicht, ob ich mich, wie früher, aus Angst ruhig verhielte. Oder ob ich den Mut hätte, offen auf sie zuzugehen, um Johnny endlich von der Liste zu streichen.

Stefan Apfl, 33, lebt und arbeitet als Journalist in Wien. Vergangenes Jahr übernahm der ehemalige Falter-Redakteur die Chefredaktion des Monatsmagazins DATUM. Im Frühjahr erwarb Apfl schließlich die Titelrechte an dem Magazin, dessen Neustart für Herbst geplant ist. stefanapfl.com

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