Gruber geht

Spür Dich, Du Sack
Doris Knecht hat in ungezählten Kolumnen schon genug über sich selbst geschrieben. In ihrem Romandebüt beobachtet sie daher einen oberflächlichen männlichen Karrieristen beim beinahe Zugrundegehen. Beim Einkaufen, Rummachen, Haare lassen und beim Kotzen.

Gruber geht nicht gern zum Arzt, er sorgt selbst für sein Funktionieren. Alkohol, Koks und THC, vor allem aber Schmerztabletten garantieren so etwas wie Wohlgefühl. Auf die Dosis kommt es halt an. Frauen, und deren möglichst viele, sind die große Nebensache in Grubers Leben. Eigentlich eine Hauptsache, nur ihre individuellen Züge und Bedürfnisse interessieren ihn nicht. Eine Zufallsbekanntschaft öffnet dann auch den Brief vom Krankenhaus, den er schon seit mehreren Wochen bei sich trägt. Diagnose Krebs: faustgroß und bösartig. Er möge sich bitte melden, aber pronto. Die Fassade zerbröckelt. Gruber ist ein Macher, ist das Ausgeliefertsein nicht gewöhnt. Gruber beginnt sich selbst in Frage zu stellen, seine Umgebung wahrzunehmen und so etwas wie Empathie und Humor zu entwickeln. Dass dabei die Innensicht der Hauptfigur in der dritten Person erzählt wird, die Wahrnehmungen der Nebenfiguren dagegen aus der Ich-Perspektive, ist ein raffinierter Trick und trägt auf Romanlänge. Vor allem, da einige der Nebenfiguren eine eigene Entwicklung durchmachen. Grubers Schwester Kathi zum Beispiel, die sich in einer Bio-Bobo-Mann-Kind-Haus-am-Land-Idylle als Lämmchen tarnt. Oder Sarah, die Leserin der Hiobsbotschaft und coole Berliner DJane in den Enddreißigern.

Auffällig ist, dass Gruber, der ja als Karrierist präsentiert wird, nie über seine Arbeit nachdenkt, nie über den Chef oder die Arbeitskollegen spricht. Finanzielle Sorgen hat er auch mittelfristig keine, dafür hat die Karriere schon gereicht. Trotzdem müsste der Beruf, auch wenn sich Gruber gleich zu Beginn des Romans beurlauben lässt, in der Narration stärker vorkommen. Schließlich setzt sich Gruber mit seinem Erfolg gleich, auch deshalb ist der Krebs so ein Schock. Andererseits: egal. Es ist ein bisschen so, wie Sarah in einem ganz anderen Kontext sagt: »Man ist ja so, man ist cool, man ist tough, erst der Sex, erst das Vergnügen, dann vielleicht die Arbeit, aber eher nicht.« Und über Sex schreibt Doris Knecht gekonnt. Über den Schock, die eigenen Haare büschelweise ausfallen zu sehen auch. Über die Unmöglichkeit, um Hilfe zu bitten, über das Kochen von Suppen als einem Heilsversprechen und über Flirtszenen im Fitnesscenter. Die eingestreuten Songzitate und Facebook-Status-Updates passen sich da perfekt ein. Angst, Schweiß, Sex und gutes Essen brodeln hier unter einer cool-urbanen Oberfläche.

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