Wie die wilden Kerle spielen

Während hierzulande die Diskussion über Drag erst ihren Anlauf nimmt, hat Bonaparte längst aufgehört, mit ihnen zu provozieren: Anstatt die Bilderflut überzustrapazieren, lässt man sich endlich wieder auf handfesten Trash-Punk ein.

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Maurice Sendaks "Wo die wilden Kerle wohnen" scheint auf die Kunst von Tobias Jundt einen ebenso großen Einfluss zu haben wie Napoleon, die Drag-Szene New Yorks, Tiermasken und Plateauschuhe. In den letzten 9 Jahren, in denen seine Band Bonaparte als Wanderzirkus durch die Lande zogen und dabei an einen familiären Ozeandampfer erinnerten, hat der Schweizer dem rebellischen "Schlag-ins-Gesicht"- Punk eine neue Fratze verpasst: Diese roch nach verschwitzter Fellmütze und schwarzer Schuhpaste, die einem nach dem vielen Tanzen in den Augen brennt.

Heute ist die Löwenmaske ab. Jundt trägt bonbonrosanes Haar und sieht damit ein bisschen aus wie der Sänger von den 1975 oder eine männlichere Version der überschminkten Dame auf seinem letzten Cover. Im Video zu "Wash your thighs" sieht man ihn über drei Minuten lang an einem Maiskolben nagen, während daneben dieser unglaublich nervige und monotone Sprechgesang-Techno wummert. "I should be your muse – I should be your muse!" – immer und immer wieder. Bonaparte produzieren bereits das zweite Album mit Warner als Vertriebspartner an Bord, domestiziert hat das ihren Visual Trash Punk aber keineswegs: Nur die Bilder, die sind ein bisschen weniger grell.

Affenzirkus

Vielleicht mussten sie das aber auch: Jundt hat den in den letzten Jahren neben Elektro-Punk und Sound-Schabernack vor allem versucht, mit stärkere Bilder zu produzieren. Da strippten nackte Frauen mit einer Bildschirmröhre am Kopf, da boxten Ziegen dem Frontman mit einem Handschuh ins Gesicht und da trug jeder Strapse, ob Mann Frau oder Zwischendrin.

In Summe ergab sich daraus die süße Versuchung, wieder einmal so richtig abzudrehen und sich mit der Live-Crew gleich mit in die Klapse einliefern zu lassen. Nein echt, ein Bonaparte Konzert fühlt sich manchmal so an, als hätte die gesamte Menschheit ihren Verstand verloren.

Das war auch die letzten Jahre so, nur die bahnbrecherischen Singles fehlten. Den Titel des Albums "Sorry, we are Open" (2012) kann man als Allegorie an die technologische Revolution – für Musiker wie Jundt wohl eher das Dilemma des digitalen Selbstbedienungsladen – deuten. Vielleicht hat man sich, in Anbetracht der sehr unzugänglichen Songs, aber sicherheitshalber gleich im Vornherein beim Fan entschuldigt: "Sorry, wir können nicht anders. Hör dir wieder mal unsere alten Hits an, wir haben hier nichts für dich."

Punk-Poet

Am neuen Album ist das anders: Blues, Rock und Punk treffen sich in der schmuddeligen Lo-Fi Ecke, zerreißen in "Out of Control" mal wie eine Horde Affen ein Geigen-Intro oder versuchen sich wie in "Into the Wild" erfolgreich an der Pop-Ballade. Der Nummer haben sich auch bereits Label-Kollege und Pop-Pianist Lambert und die Orsons angenommen. Gelungen klingt auch "Riot in my Head", wo Jundts Stimme feine Soul-Anleihen offenbart und der RnB-Beat klickert und klackert. Und auch ohne Löwenmaske schafft diese Stimme das, für was sie 2008 mit "Too Much" weltberühmt wurde: Einen trockenen Basedrum-Beat mit Sprechgesang aufpeppen: In "Me So Selfie" teilt sich Jundt dafür das Mikro mit US-Rapper Tim Fite.

Wenn Jundt und Co. ihre Dohopaboho für solche Nummern ein bisschen entschleunigt haben, soll uns das nur Recht sein. "The end of entertainment, is the beginning of war!"

"Bonaparte" von Bonaparte erscheint am 30. Mai via Warner.

Bild(er) © Melissa Jundt
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