This Ain't A Scene

Ein Albumtitel, der ein kleines bisschen flunkert, sorgt erstmal für Skepsis. Bei diesem Sampler der Hautevolee deutschsprachiger Gitarrenmusik ist aber alles wie immer: Die Stars enttäuschen, die jungen Wilden bringen Hits Hits Hits.

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Samma uns ehrlich, es ist ja so: alle paar Jahre tauchen ein paar neue, junge Bands auf, die dann auch dann noch relativ ähnliche Musik machen, aus einer ähnlichen Szene kommen und auch noch was Ähnliches zu sagen haben. Der Musikjournalismus geht dann her und definiert das alles als Bewegung, oder – wenn er besonders spitzfindig oder unkreativ sein kann und will, auch mal als keine Bewegung – No Wave, sozusagen.

Auch wenn sich die Künstler dagegen sträuben: es ist zu spät, man ist Teil einer Bewegung – wenn man politisch was zu sagen hat, gleich auch Teil einer Jugendbewegung. Fünfe werden dann gerne auch mal gerade, dann reicht die gemeinsame Sprache als Szenemerkmal, über geografische und musikalische Grenzen wird getrost hinweg gesehen: Frag nach bei Hubert Kah, Nena, Trio. Egal, aus welcher Provinz, welcher Großstadt, ob Irony-Schlager-Pop, Minimal-Post-Punk oder Charts-Pop, für die breite Masse bleibt es das Vermächtnis dieser und tausend anderer Künstler, Teil dieser einen Szene – Neue Deutsche Welle – zu sein.

Staatsakt x Euphorie

Aber mal von Anfang an: Die beiden zurzeit wohl spannendsten und wichtigsten Labels, die sich aktueller deutschsprachiger Gitarrenmusik in gut verschrieben haben, nämlich das alte Schlachtross Staatsakt und das noch auf wackeligen Beinen stehende Fohlen Euphorie, haben einen Sampler kompiliert, den sie da „Keine Bewegung!“ nennen. Der Zeitpunkt dazu ist exzellent gewählt, das Genre befindet sich momentan in einer künstlerischen Hochphase, allein die schiere Anzahl der 2014 bereits veröffentlichten Alben macht die persönlichen Jahrescharts schon jetzt zu einer Sisyphusaufgabe. Alleine Staatsakt hat heuer mit Ja, Panik, Die Heiterkeit, dem Türen-Drummer-Goes-Solo Chris Imler und dem – allerdings englischsprachigen neuen Album von Dieter Meier – bereits vier Releasepartys hinter sich.

Leider finden sich auf „Keine Bewegung!“ davon nur Ja, Panik, die mit ihrer B-Version des Album-Fillers „Alles leer“ namens „0157-868576“ – what’s your telephone number, tell me, tell me, Andy – enttäuschen und ein Auszug aus Chris Imlers Album „Nervös“, der ebenso entbehrlich ist. Der schnieke Oliba von Imler, der das Cover ziert, ist da schon hilfreicher. Zum Sampler tragen mit Messer und Die Nerven auch zwei Künstler bei, die auf dem This-Charming-Man-Roster zuhause sind, ihre Beiträge „Süßer Tee“ und „Blaue Flecken“ kennt man jedoch schon von ihren aktuellen Alben.

Große Namen enttäuschen, sonst alles amazing

Man merkt, zuallererst ist „Keine Bewegung!“ eine Enttäuschung: Die großen Namen – und wenn man mal von Jens Friebe absieht, sind das Ja, Panik, Messer und Die Nerven – enttäuschen auf ganzer Linie. Aber, wie es eben fast immer so ist, öffnet sich dafür die Tür in eine Welt voller Neuentdeckungen, die bislang unter jeden Radar gefallen sind. Das beginnt schon beim ersten Song, „Erfolg“ von der ungooglebaren Gruppe Erfolg, die auf dem Sampler sogar ihr Release-Debüt feiern, die Zeichen stehen – wenn man so will – sozusagen auf Success. Der geneigte Freund des – Achtung, Unwort! – Diskurspop steht eben auf die dort besungene Kritik am bourgeoisen Erfolgsbegriff. Die Fähigkeiten der wunderbaren Euphorie-Künstler Trümmer, Der Ringer und Zucker standen in den letzten Monaten ohnehin nie in Frage, „Euphorie“, „Das Goldene Ticket“ und „Alles Amazing“ setzen die Glückssträhne aller drei Gruppen sympathisch fort, da darf man sich in Zukunft auf so manche Großtat freuen.

Die besten Songs stammen jedoch eindeutig von Schnipo Schranke und Der Bürgermeister der Nacht. Never heard of it, I know. Die zwei Damen von Schnipo Schranke brillieren mit ihrem Nina-Hagen-Schnunkel-Punk-Riot-Pop-Hit „Pisse“, einem Loblied an das Überbordwerfen jeglichen Geschmacks und Stils, um den Partner, in dem man verliebt ist, zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Identifikationspotenzial, eh. Der Bürgermeister der Nacht versuchen mit sich „Der neue Hubert Selby“ an hypnotischen Pophymnen voller Sadness, Sven Regener winkt schon hinter Getränke Hoffmann hervor.

Am Ende bleibt die Frage, ob das nun alles eine Bewegung ist. Das sollen mal schön die zukünftigen Historiker klären, die Zeichen stehen aber schon drauf. Dass wir da dabei waren, können wir noch unseren Enkeln erzählen.

„Keine Bewegung!“, eine Compilation von Staatsakt und Euphorie erscheint am 25. April. Als Download und als 12“+7“. Because they can.

Bild(er) © Staatsakt / Euphorie
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