SMS aus Mauritius

Viel gibt es noch nicht zu hören. Wenn aber trotzdem alle Signale eine strahlende Zukunft unter der Discokugel versprechen, läuft ganz viel schon im Vorfeld richtig. Was, wer und wie genau, haben wir HVOB selbst gefragt.

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Das blutjunge Duo Her Voice Over Boys – HVOB – machte so ziemlich alles richtig, was man 2012 im Musikbusiness richtig machen kann. Demos auf eine Musikplattform hochgeladen, den Social Media-Kosmos angeworfen und abgewartet. Bald darauf landeten HVOB beim renommierten deutschen Electronic-Label Stil Vor Talent und haben nun einen veritablen Spätsommer-Hit in den Startlöchern.

Sie veröffentlichen gerade einmal ihre Debüt-EP »Dogs«, doch eines der bekanntesten deutschen Labels für elektronische Musik, eine riesige Booking-Agentur, ein Auftritt beim ruhmreichen Melt-Festival und das beste Vitamin B direkt vom Praterstern werfen ihren Schatten voraus. Nicht geschadet hat dem Duo wohl auch der Wegbegleiter von HVOBs Sängerin. Hennes Weiss, seines Zeichens 50% Pratersauna, wo stets wichtige Produzenten-Granden ein und aus gehen, ist selbst Turbo-Netzwerker weit über Österreich hinaus. Und weil die Vorzeichen so schön auf große Welt standen, traf The Gap Anna Müller und Paul Wallner zu einem ersten umfassenden Interview. Neben einigen großen Auftritten steht auch ein Album ins Haus – was das österreichische Duo darüber sowie über Fantasiesprachen, Deadmau5 und fliegende Bierbecher zu sagen hat, gibt es hier zu lesen.

The Gap: Ihr kennt euch ja schon etwas länger, wie sieht die Arbeitsaufteilung bei HVOB aus?

AM: Also bei den Songs ist es eigentlich so, dass ich zu Hause am Laptop mit Logic sitze. Da mache ich die meisten Sounds und Songs mit Stimme etc. fertig und dann beim Paul im Studio spiele ich ihm die Nummer vor, der sagt dann meistens »Ja, die ist schön!« (lacht). Dann arrangieren wir es im Studio und machen die Nummer gemeinsam fertig. Was ich nicht gut kann, kann der Pauli besser und was der Pauli nicht gut kann, kann ich besser.

PW: Ich gehe die Abläufe durch. Es ist halt oft leichter, wenn man eine Komposition am Tisch liegen hat, bei der man nur noch sagen muss: »Der Refrain gehört so« oder »die Strophe gehört dorthin«. Also mach’ ich eigentlich hauptsächlich den Spannungsaufbau.

AM: Daher bin ich mehr der kreative Part und der Pauli mehr der technische. Und ich bin ein bisschen auch das Office, das sich um Verträge und Organisation kümmert, Facebook gehört auch dazu.

PW: Dafür mach ich mehr Live-Umsetzung.

Ihr seid für elektronische Musik, ein sehr aufs performen ausgelegtes Projekt. Was macht euch da am meisten Spaß?

AM: Ich bin nicht die, die in einen Club geht und Platten auflegt und dazu singt. Darum ist das jetzt die Herausforderung, wenn man mit einem Schlagzeug und Mikro im Club ankommt. Das macht es auf jeden Fall stressiger, aber erst spannend.

PW: Und natürlich auch aufwendiger, weil es Clubs nicht gewohnt sind – es ist ein Unterschied, wenn wir mit unserem Equipment kommen oder jemand mit einem USB-Stick oder CDs. Wir wollten von Anfang an nicht wie bei vielen elektronischen Acts auf Play drücken, bei uns ist jeder Klick anders. Wir haben ständig die volle Kontrolle über alle Teile des gespielten Stücks, wir können jederzeit sagen: »Das spielen wir jetzt fetter«, »den Part reduzierter« oder »da mehr Percussion dazu«.

AM: Darum ist auch jedes Konzert anders. Mittlerweile ist der Pauli unser Dirigent, meistens gibt er uns Zeichen, ob jetzt das nächste Lied kommt oder der Teil noch einmal kommt. (lacht)


PW: Und daher können wir auch sehr gut improvisieren, natürlich wird an den vorhandenen Parts wie den Harmonien nichts verändert, aber eben Abläufe, Dynamik usw. können variieren. Daher können wir auch auf das Publikum eingehen. Bei vielen elektronischen Acts ist der Schlagzeuger mehr als Gimmick zu sehen, bei uns nicht. So transportieren wir die Energie. Und ich denke, dass dieser Umstand auch vom Publikum honoriert wird, weil die großen Acts der Szene wie Justice klingen dann genau wie auf der Platte. Es steht zwar »Live« darunter, aber eigentlich werden nur ein paar Knöpfe gedrückt. Das hat auch Deadmau5 vor Kurzem in seinem Blog gut beschrieben, dass das meiste der Szene momentan nur gefaked ist.

AM: Ich spüre auch momentan bei den Leuten so eine Stimmung, dass es nicht für gut befunden wird, dass es fast keine Live-Acts gibt. Und da liegt auch die Motivation, sich diese Arbeit zu machen. Unser Labelchef, Oliver Koletzki, hat letztens gemeint »Alter, warum tust du dir das an? Irgendwann endet das mit einem Herzinfarkt« (lacht).

Deutsches Label, englische Lyrics – wollt ihr ohnehin gleich als internationales Projekt wahrgenommen werden?

AM: Ich will Musik machen und da ist es egal, ob ich von da oder dort bin. Aber es war uns einfach wichtig, dass wir von Anfang an kompetente Partner und ein gutes Netzwerk haben. Ich glaube einfach, dass wir mehr Chancen haben, wenn wir gleich aus Deutschland starten. Das heißt jetzt nicht, dass ich Österreich nicht für gut befinde, aber wir wollten von Anfang an das bestmögliche Team um uns haben und da waren die Leute von Stil Vor Talent die richtigen.

Stil Vor Talent, wie kam es denn dazu?

AM: Es war so, dass ich Anfang des Jahres den Oliver Koletzki in der Pratersauna kennengelernt habe, da war das HVOB-Projekt noch recht frisch. Wir hatten fünf oder sechs Songs, die habe ich ihm gegeben. Zwei Wochen später hat er mir aus seinem Urlaub auf Mauritius eine SMS geschickt und geschrieben, dass es ihm super gefällt und er es unbedingt machen möchte.

PW: Wir haben uns in Berlin getroffen und waren uns ziemlich schnell einig. Was natürlich der größte Vorteil ist, dass Stil Vor Talent ein Label ist, das uns sehr viele Freiheiten lässt. Sie wollen, dass wir das machen, was wir machen wollen und sind damit eigentlich sehr happy, dort sagt keiner, »das gehört anders«. Das hätten wir auch nicht akzeptiert, ein Label, das sagt, »so ist der neue Trend«, »dort müsst ihr hin«.

AM: Sonst hätten wir es auch alleine gemacht. Wenn wir kein Label gefunden hätten, dass zu 100% hinter uns steht, hätten wir es auch ohne probiert.

Urban Art Forms, Melt Festival, Kater Holzig – gleich zu Beginn der Karriere auf die großen Bühnen. Fehlt euch die Clublandschaft? Das Größerwerden? Die Energie?

PW: Das entstand hauptsächlich dadurch, dass wir im Sommer begonnen haben, da haben sich einige Festivals angeboten und die haben wir natürlich gleich mitgenommen. Gerade das Melt hat uns extrem viele Sympathien in Form von Blogposts und Berichterstattungen eingebracht. Jetzt fängt es erst langsam an, dass wir die Clublandschaft bespielen.

AM: Wir hatten natürlich extrem viel Glück, dass wir das alles spielen konnten. Da haben wir auch Stil Vor Talent sehr viel zu verdanken und seit ein paar Monaten sind wir auch bei der Booking-Agentur Four Artists.


In einem Interview meintest du, dass du deine Stimme mehr als Instrument siehst. Sind dir daher die Texte nicht sehr wichtig?

AM: Ja, ich bin in erster Linie Musikerin und erst in dritter Linie bin ich Texterin. Ich liebe meine Stimme, aber zuerst ist immer die Musik da, dann kommt eine Gesangsmelodie mit einem Fantasietext, den ich am liebsten lassen würde, was natürlich nicht geht. Und dann kommt der Part am Komponieren, der mir am meisten auf die Nerven geht. Manchmal wünsche ich mir, dass ich wie Sigur Rós eine Elfen-Fantasiesprache habe, wo ich nicht nachdenken brauche, etwas Wichtiges sagen zu müssen. Gerade auf Englisch ist es mir nicht besonders wichtig, was ich singe. Natürlich schaue ich, dass das, was ich singe, eine gewisse Qualität hat, aber der Prozess des Textschreibens nervt mich eigentlich.

Drum ist es eigentlich auch das, was ich ganz zum Schluss mache. Ich denk mir, wenn ich etwas Wichtiges zu sagen hätte, würde ich eher ein Buch schreiben.

PW: Die Stimme soll auch eher Stimmung erzeugen, gerade wenn wir Live spielen, wollen Leute tanzen und in die Musik reingezogen werden, oder zumindest wir versuchen, die Leute reinziehen (lacht). Da wäre es nicht hilfreich, über Weltfrieden oder Krieg zu singen. Also die Musik kommt auf alle Fälle vor dem Text.

Wer steht auf eurer Wunsch-Remixliste?

AM: Für unsere allererste EP »Dogs«, die im Oktober erscheinen wird, werden Oliver Koletzki und Niko Schwind jeweils einen Remix machen. Und auch noch ein Dritter von Lee Jones wird kommen, der ist mein persönlicher Favorit.

PW: Anfragen sind eine Menge draußen, es gibt auch schon einige Zusagen. Wirklich etwas sagen kann man aber erst, wenn ein MP3 da ist. Aber es gibt glaube ich keinen, bei dem wir sagen, »der muss das remixen«.

Die erste EP erscheint wie bereits erwähnt Anfang Oktober, wie geht es mit der Albumproduktion voran?

AM: Das Album wird Februar oder März 2013 erscheinen und ist so gut wie fertig.

PW: Einige Titel fehlen zwar noch, die werden wir in den nächsten ein bis zwei Monaten fertig machen. Grundgerüste gibt es aber schon für alle Songs.

Was beeinflusst euch beim Produzieren?

AM: Natürlich beeinflussen mich gewisse Stimmungen, aber ich habe keine Vorbilder. Das finde ich eher gefährlich und darum versuche ich auch zu vermeiden, in einer Zeit, in der ich viel schreibe, zu viel andere Musik zu hören. Ich bin lieber ein schlechtes Original als eine gute Kopie.

PW: Man schaut eigentlich nicht nach rechts und nicht nach links, sondern versucht sein Ding durchzuziehen.

AM: Ich muss ja ehrlich sagen, dass ich eigentlich gar nicht aus der elektronischen Szene komme. Ich kenn’ mich auch nicht wirklich aus, wer da gerade angesagt ist, wer da die alten Hasen sind und wer für genau was steht. Ich kann dir eine Menge Indie-Bands aufzählen, wann welcher Song herausgekommen ist, aber mit elektronischer Musik habe ich etwas Neues gefunden, das mir gefällt und da werde ich sicher auch noch hineinwachsen.

PW: Manches wirkt sich für uns auch positiv auf den Sound aus, weil es momentan super angesagt ist, alles platt zu drücken – je lauter, desto besser. Da sind wir ja fast am dagegenarbeiten, unsere Musik ist da eleganter. Es muss nicht immer alles hämmern, mit tausend Noises aufgefüllt werden oder ständig das gesamte Frequenzspektrum vorhanden sein. Es sind ja bei uns nicht reine Dancetracks.

AM: Das hat mich eben auch am Melt-Festival so gewundert, dort hat ja Boris aus dem Berghain vor uns gespielt. Als ich das eine Stunde vor unserem Gig gehört hab’, war alles so straight, deep und Techno, da war ich auf’s Schlimmste gefasst, fliegende Bierbecher und Buh-Rufe. Doch genau das Gegenteil war der Fall, es hat mich dann sehr überrascht, dass die Leute das so gut angenommen haben.

PW: Unsere Musik hat zwar Songcharakter, es sind aber keine Songs im eigentlichen Sinn.

Auf was freut Ihr euch im Herbst und Winter am meisten?

AM: Also ich freue mich am meisten auf unsere erste EP, die auch auf Vinyl erscheint. Ich traue es mir fast nicht zu sagen, aber das wird die erste Vinyl in meinem Leben sein. Ich komme nicht aus der Ecke und darum ist die Freude umso größer. Und Plattenspieler habe ich auch keinen, also werde ich wohl zu Freunden gehen und sagen »Spiel‘ die mal, bitte« (lacht). Dann freue ich mich auf die drei Remixe, auf das Waves Festival, auf das Electronic Beats Festival und am 3. November werden wir auch beim Bermuda-Festival in Berlin spielen. Und natürlich auf unser Album.

PW: Und alles fürs nächste Jahr zu planen.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Dogs“ von HVOB ist bereits via Stil Vor Talent erschienen. HVOB spielen am 6. Oktober beim Waves Vienna.

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