Siebdruck-Rebellen

In Hamburg ist Europas erste Museumsausstellung über Gig-Poster zu sehen. Dass aus dem Underground-Phänomen ein Kommerzhit wird, ist dennoch nicht zu befürchten.

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Subversiv – das wollen die meisten Bands zu Beginn ihrer Karriere sein. Doch mit dem Erfolg verschlingt das kapitalistische System meist seine vermeintlichen Revoluzzer. Dann schlägt das klassische Merchandising voll zu, rebellische Motive landen auf T-Shirts von Modeketten, "Anti" wird zur hohlen Phrase. So ging es allen – nicht nur musikalischen – Gegenbewegungen der vergangenen Jahrzehnte, von Rock über Punk und Grunge bis HipHop.

In den Nischen sammeln sich dann die Restbestände mit authentischem Anspruch. Auf diese Weise entstand in den 80er Jahren auch das Phänomen der Gig-Poster. Gedacht war es als Antwort auf die Kommerzialisierung der "Independent Music", als Vorbilder dienten die West-Coast-Rock-Poster der 60er Jahre, deren Ästhetik von einer Art LSD-Jugendstil geprägt war, während die Gig-Poster seit den 80er Jahren tendenziell Anleihen bei Comic-Zeichnungen nahmen. Beiden gemeinsam ist der Grundgedanke, für ein bestimmtes Konzert Plakate in limitierter Stückzahl zu produzieren, die dann nicht affichiert werden, sondern als Erinnerungsstück von Fans erworben werden können und vom Künstler signiert sind.

Passend zur "Protesthaltung" wird der Großteil der Gig-Poster bis heute im Siebdruckverfahren hergestellt, eine manuelle Technik, die charmante Rauheit und Authentizität verspricht. Die Farbe wird dabei durch ein feines Gitternetz mit einer Gummirakel auf das Blatt gepresst. Je nach Beschichtung geht Farbe durch oder nicht, die Motive werden mit einfachen, meist fotografischen Kopiertechniken auf das Sieb gebracht. Die Farben werden nacheinander aufgetragen, daher braucht man z.B. für vier Farben vier Druckvorgänge: eine ziemlich aufwendige Sache. Häufig werden kräftige Farben oder Leuchtfarben ("Dayglow") verwendet, um die Signalwirkung noch zu verstärken.

Austin, Texas. Hamburg, Germany

Pioniere wie Frank Kozik und Art Chantry begannen mit schrägen, ironischen Motiven für ihre Lieblingsbands und galten schon in den 90er Jahren als Kultfiguren. Besonders in den USA verbreitete sich der Trend einigermaßen rasch. Doch erst mit der Website gigposters.com, die im Jahr 2000 online ging, erhielt die Bewegung eine verbindende Plattform, auf der heute hunderttausende Motive abrufbar sind. Nach der Website wurden die sogenannten Flatstock Conventions eingeführt, als regelmäßige Events bei Rock-Festivals, bei denen sich die Gig-Poster-Szene trifft. (Der Begriff Flatstock leitet sich ab vom englischen Wort für Druckstock ab und verweist gleichzeitig auf das Woodstock-Festival). Als Zentrum hat sich Austin, Texas, etabliert, wo das American Poster Institute (API) gegründet wurde, das die Flatstock Conventions organisiert und wo jährlich das gigantische South by South West Festival (SXSW) stattfindet. Über 50 Flatstock Conventions gab es bisher, im Jahr 2006 traf man sich erstmals in Europa, genauer gesagt in Hamburg.

Daher ist es auch kein Zufall, dass das dortige Museum für Kunst und Gewerbe die europaweit erste Museumsausstellung zum Thema zeigt (noch bis 3. Jänner 2016). Zu verdanken ist sie einem Mann, der auch die erste Hamburger Flatstock Convention im Rahmen des Reeperbahn Festivals organisiert hat: dem Galeristen Ralf Krüger. Er hatte bereits seit den 80er Jahren "normale" Konzertplakate gesammelt, ehe er in der Schweiz erstmals ein Gig-Poster von Frank Kozik entdeckte – und es prompt dem Veranstalter abschwatzte. "Da war mit eigentlich gleich klar, dass das etwas Besonderes ist", so Krüger. »1995 begann ich damit zu arbeiten. Bei unserem Label Amphetamine Reptile Records haben wir nebenbei auch Plakate verkauft, Stars wie Kozik und Coop (Chris Cooper) wurden von uns exklusiv in Europa vertrieben.«

Auch in den USA nicht Mainstream

Aber nicht nur das: Krüger promotete die alternativen Konzertplakate, wo es nur ging. Er organisierte Ausstellungen bei Comic-Festivals wie jenem in Luzern, kooperierte mit dem Musikmagazin Rolling Stone, initiierte Plakate für Bands, die in Hamburg auftraten, trat als Experte im Fernsehen auf. Dass seine Sammlung nun den Grundstock für eine Museumsausstellung bildet, findet er großartig. Dass das Thema damit breitenwirksam wird, glaubt er nicht: "Es ist immer noch Underground und das ist auch gut so. Ich denke nicht, dass es jemals Mainstream wird, das ist es in den USA auch nicht." Abzulesen ist dies auch an der Marktentwicklung der alternativen Kunstwerke, die keinen Boom wie der Design- oder Kunstmarkt erfahren haben: "Es gibt sicher Plakate, die für 500 bis 1.000 Dollar gehandelt werden, aber das dürften eher die Ausnahmen sein. Da müssen dann schon angesagte Bands und angesagte Künstler und das entsprechende Design zusammenkommen."

In der Hamburger Ausstellung, die rund 140 Plakate zeigt, sind die wesentlichen Protagonisten der Szene seit den 80er Jahren vertreten, so etwa Art Chantry, Coop (Chris Cooper), Mat Daly, Justin Hampton, Derek Hess, Frank Kozik, Dan MacAdam aka Crosshair, Tara McPherson, Jay Ryan sowie das Künstlerkollektiv Fort Thunder. Vier Arbeiten stammen auch vom Österreicher Michael Hacker, von dem einige Poster derzeit auch im Rahmen einer Illustrationsausstellung im Wien Museum zu sehen sind. Hacker gehört zur überschaubaren Gruppe von Leuten, die hierzulande Gig-Poster herstellen und war unter anderem auch im Künstlerkollektiv Atzgerei tätig (das ebenfalls in der Hamburger Ausstellung vertreten ist). Neben Hacker sind u.a. auch Burnbjoern und Idon Mine zu nennen, Letzterer verantwortlich für die "Hullabaloo"-Poster-Ausstellungen in Linz und Wien.

Hacker

Wie viele seiner Kollegen begann Hacker, von sich aus Poster für seine Lieblingsbands zu gestalten. Anfangs bot er sie selber den Bands an, mittlerweile erhält er immer wieder auch von den Bands Direktaufträge. "Mein erstes Gig-Poster entstand 2007 gemeinsam mit Fördl von Vienna Electric Tattoo für ein Konzert von The Melvins in der Wiener Arena." Seitdem sind Namen wie The Hives, Green Day oder Eagles of Death Metal dazugekommen. Die Auflage für seine Arbeiten liegt gewöhnlich bei 50 bis 100 Stück, die jeweils 25 bis 30 Euro kosten. Bei heißbegehrten Plakaten steigt der Preis auf 70 bis 100 Euro. "Jedenfalls sind die Poster immer limitiert und werden nicht mehr nachgedruckt, sobald sie ausverkauft sind."

Die internationale Vernetzung ist für Hacker selbstverständlich: "Die Flatstock Poster Conventions sind ein wichtiger Grund, dass ich Gig-Poster mache. Bisher habe ich an 13 Conventions in Hamburg, Barcelona, Chicago und Austin teilgenommen und dadurch viele großartige Künstlerinnen und Künstler kennengelernt und etliche Freundschaften geschlossen. Es ist jedes Mal unglaublich inspirierend, so eine Vielfalt an Techniken und Stilen geballt an einem Ort zu sehen."

Dass seine Werke plötzlich stärker im Rampenlicht stehen, gefällt dem Grafiker, der auch als Comic-Zeichner arbeitet: "Normalerweise hängen meine Poster v.a. auf Conventions, am Merchandise-Tisch bei Konzerten, in bestimmten Bars wie z.B. dem Brauhund in Wien oder an Wohnzimmerwänden. Dass man sie jetzt auch in zwei Museen sehen kann, freut mich sehr."

Poster-Rock. Gig-Poster und die Flatstock Convention: noch bis 3. Jänner im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

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