Migration nach innen

Guter Bandname, gute Szene, gute Musik: Human Abfall aus Stuttgart sind die attraktive Alternative für die, denen Die Nerven mittlerweile zu Mainstream sind.

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Ganz ohne verklärte Romantik: Seattle muss Ende der 80er wirklich gar nicht so schlecht gewesen sein. Schließlich ist alle paar Jahre ein neuer (deutscher) Ort, aus dem sich ohne Vorwarnung eine Szene entpuppt, das »neue Seattle«. Hamburg in den frühen 90ern, Weilheim in den späten 90ern, heute ist das Stuttgart. In der Berichterstattung dreht sich bei Letzterem zwar alles vorrangig um Die Nerven und deren Soloprojekte, in den Geheimtipp-Spalten sind Human Abfall – das »Human« wird deutsch ausgesprochen – aber längst Stammgäste. Das 2014 erschienene Debütalbum »Tanztee von unten« überzeugte die Fachpresse einstimmig, der Soundteppich – der vielen Stuttgarter Bands eigen ist – wusste mit seiner engmaschig gewobenen Vielschichtigkeit aus Post-Punk, Dunkelheits-Surf und Noise zu begeistern.

Nenne es kein Comeback

Die klangliche Ebene wird natürlich beibehalten. »Nenne es kein Comeback / Es ist die Rückkehr aus der inneren Migration«, so wird das formschön benannte Zweitwerk »Form und Zweck«, eröffnet. Sänger Flávio Bacon – ohnehin ist diese Kunstfigur mit inszenierter fraktusesker Super-Weirdness eine der spannendsten Musikerpersönlichkeiten Deutschlands – ist in sich gegangen, ist in seinem Vortrag klarer als je zuvor, hat jede Menge zu beanstanden und setzt die Beschissenheit der Dinge in Parolen für Fans der frühen Tocotronic um. »Ich will kein Versprechen, ich will eine Garantie« etwa, oder »Zeitgeist Fehlfunktion«, oder »Meinung kommt nicht aus dem luftleeren Raum«. Über 13 Songs wird gerotzt, der Gesang ist deutlich akzentuierter produziert als von Szene-Produzent Ralv Milberg gewohnt, sodass Die Nerven nur mehr entfernt Pate stehen. Sperrigere, noisigere, verkopftere Love A wären wohl die bessere Referenz. Aus einer Reihe von guten Stücken drängt sich die erste Videoauskopplung »Bequeme Stellung« als Highlight in den Vordergrund: vertonte und verfilmte Banalität als Ausdruck höchster Kunst. Insgesamt ist »Form und Zweck« wohl nicht das wichtigste Album der immer noch florierenden Stuttgarter Szene, hörens- und besitzenswert ist es in jedem Fall.

»Form und Zweck« von Human Abfall erscheint am 29. April bei Sounds Of Subterrania. Die Band ist am 2. Juni im Wiener Rhiz live zu sehen.

Bild(er) © Copyright: Markus Milcke
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