Voodoo Jürgens: Mei potschertes Leb’n

Viele sagen, Voodoo Jürgens wäre der neue Star des Austropop. Er ist viel mehr als das, er ist die Verkörperung eines Wiener Lebensgefühls.

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Nicht nur die großen Brauereien, auch die Kunst- und Kulturszene des Landes kokettiert gern mit ihm: dem Wiener Original. Es soll das sein, was Wien für Wiener ausmacht, das, was die anderen an Wien »g’spritzt« nennen. Das sind selten echte Personen, meistens Kunstfiguren, Schauspieler, Musiker. Mundl Sackbauer, der Herr Karl, Jazz-Gitti, Toni Strobl. Zeitgenössischer: Falco, Austrofred, Stefanie Sargnagel, auch Wanda, allesamt als Wiener Originale inszeniert. Auch David Obenaus, den man als Mastermind der vergessenen Seayou-Helden Die Eternias kennt, hat seinen eigenen, mittlerweile zum festen Inventar des neuen Austropops gehörenden Charakter erschaffen, den Voodoo Jürgens. »Voodoo Jürgens ist die Geschichte, die ich anbiete. Es vermischt sich zwangsläufig mit Privatem«, sagt er beim Treffen im Stammlokal, dem Café Voodoo in Wien-Neubau.

Wer ist Voodoo Jürgens?

Dieser Voodoo Jürgens, der eigentlich aus Tulln kommt, inszeniert sich als manchmal typischer, mitunter auch untypischer Verlierer der ostösterreichischen Kultur zwischen »Heisl-Tschick« und knallhartem Überlebenskampf an der Armutsgrenze. Voodoo Jürgens ist wahrlich das musikalische Äquivalent zu Hans Orsolics, dem Boxer, dessen Geschichte eine vielerzählte Mär des Schmähtandlertums ist und den Voodoo auch besingt. »Das Tragische gibt sowieso mehr her.« Sowieso. Voodoo Jürgens, den es erst seit Silvester 2014/15 gibt, hat sich einen Namen gemacht in Wien. Spielt Konzerte in der Stadthalle (als Vorband von The Libertines) und vor allem in bummvollen Beisln, dort, wo sich die treffen, die sich mit ihm identifizieren. »Es gibt kein typisches Publikum, es geht sich auch für Typen, die so 60, 70 sind, genauso aus. Der klassische Typ, der im Beisl sitzt und sauft, fühlt sich auch nicht verarscht.«

Was kann Voodoo Jürgens?

Voodoo Jürgens ist ein Folksänger im besten Sinne, paradoxerweise auch Anti-Folk. Er tritt für gewöhnlich mit alter Wandergitarre auf, im Stile Woody Guthries zugeklebt und im Charakter gereift, die kleine Orgel quietscht, der Anzug und die ausgestellten Hosen erzählen ebenso vom Leben wie seine Texte. Von seinem Leben, dem Leben der Anderen. Seine große Stärke dabei: Die erschaffene Identifikation. Voodoo ist einer von uns. Er zehrt vom Glauben und Vermuten seiner Zuhörer, wie ein altes Wien ausgesehen haben könnte. Sie wissen es nicht, fühlen sich aber gleich dorthinv ersetzt, in das alte Tschocherl mit Stamperl- und Bierseligkeit. Gewissermaßen eine musikalische Stefanie Sargnagel. Ohne dass er die Vergangenheit glorifiziert, wiegt er den Hörer in dessen selbst assoziierter romantischer Verklärung. Die Musik riecht nach den 70er Jahren, nach den Sehnsuchtsalben, die den österreichischen Pop so geprägt haben, nach frühem Ambros und Danzer. Aber: »Ich lasse bewusst Sachen weg, die auf eine Epoche verweisen, ich würde nicht sagen, es ist 70er, sondern eher zeitlose Musik.« Voodoo kriegt es hin, singt atemberaubende Liebeslieder (»In deiner Nähe«), Solo-Duette (»Gitti«) oder seine eigene, urösterreichische Lebensgeschichte (»Tulln«).

Was wird Voodoo Jürgens?

Nachdem Voodoo schon seit Anfang des Jahres auf einer 7-Inch über alte Goldsoundz-Nummern seine Texte im gewohnt abgefuckten Wiener Dialekt singt, erschien im Mai die vom Publikum lang herbeigesehnte erste reine Voodoo-Jürgens-Auskopplung, die Moritat »Heite grob ma Tote aus« – der erste Studio-Song vom vielbeschriebenen »Hoffnungsträger des neuen Austropop«. im September soll endlich das Debütalbum erscheinen. Wer Voodoo schon live gesehen hat – bei gefühlt mindestens einem Auftritt pro Woche ist das durchaus im Rahmen des Möglichen – und die Songs kennt, die Texte, die Musik, die Inszenierung, weiß, dass sich da alle anderen – es soll ja auch ein zweites »Unser Österreich« von Molden und Mandl in Arbeit sein – wirklich ranhalten müssen, um mit ihm mithalten zu können. Denn niemand schafft es zurzeit besser, das Lebensgefühl eines romantisch verklärten Wiens einzufangen – eines alkoholischen, morbiden und selbstzerstörerischen Wiens. Voodoo Jürgens ist pure Sozialgeschichte.

Das noch namenlose Debütalbum von Voodoo Jürgens erscheint voraussichtlich im September auf Fuzzmans Lotterlabel. Man darf einen Meilenstein des »neuen Austropop« erwarten. Er spielt am 12. Mai 2016 bei der MQ Sommeröffnung.

Bild(er) © Redelsteiner
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