(K)ein Steppenwolf

Mit „Angels & Devils“ setzt Kevin Martin einen Meilenstein für sein Dancehall-Projekt The Bug. Ein Album mit zwei Seiten – doch das ist nur die halbe Wahrheit.

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„(…)viele Künstler namentlich gehören dieser Art an. Diese Menschen haben alle zwei Seelen, zwei Wesen in sich, in ihnen ist Göttliches und Teuflisches, (…) verworren neben- und ineinander vorhanden, wie Wolf und Mensch in Harry es waren.“

Zwei Seelen, zwei Wesen

Dieser Sorte Künstler, wie sie in Herrmann Hesses Steppenwolf beschrieben wird, scheint auch The Bug anzugehören. Auf seinem vierten Studioalbum macht er explizit das Göttliche und Teuflische in seinem Musikerherz zum Thema. „Das Album untersucht Gegensätzlichkeiten und erforscht Extreme, sowohl sonische und — besonders wichtig — emotionale. Ich habe mich dazu entschlossen das Album in zwei Hälften zu spalten, Kontrast und Konflikt“, erklärt er im Interview.

Die zweite Hälfte des Albums, angeführt vom ersten Teufel „The One“ mit Flowdan, führt die Wucht und Wut von „London Zoo“ fort. Wie auf dem Vorgängeralbum fletscht der Steppenwolf verächtlich, angriffslustig, bisweilen blutrünstig die Zähne angesichts Ungerechtigkeit und fehlgeleiteter Autoritäten. Neu im Rudel: Manga, wie Flowdan Mitglied der Grime-Pioniere Roll Deep, treibt bei „Function“ mit seinen hektischen Raps das Tempo der Bassline in die Höhe. Sex und Gewalt liegen immer in der Luft, genauso wie The Bug seinen Dancehall mag. Bleischwere Schwaden davon gibt es beim irrsinnigen Amoklauf von „Fuck A Bitch“. Von Blutdurst und Wolllust getrieben speit sich MC Ride von den mittlerweile aufgelösten Death Grips durch den Track. Schön wäre, wenn das Acid im Ragga hier auch das –ismus vom Sex ätzen würde. Immerhin kommt zwei Tracks später Warrior Queen mit „Fuck You“ zu Wort und vertritt die Ladies in breitem Patois.

Die ruhigere Seite eröffnet Liz Harris alias Grouper mit wahrlich engelsgleich entrückter Stimme auf „Void“. Weite Sphären und dunkle Tiefen im Ambient-Gewand hat Kevin Martin schon mit King Midas Sound erforscht. Diesen ähnelt „At War With Time“ am meisten, die Vorabsingle mit Spoken Words von The Spaceape hat es allerdings nicht aufs Album geschafft. Stattdessen fallen zwei Instrumentals etwas aus der Reihe. Davon zeigt „Ascension“ am schönsten, was beim Auf-die-Schuhe-starren vom Dancehall geblieben ist: der Rhythmus erzählt die Geschichte, mit wechselnden Stimmen und minimalen Melodiebewegungen. Extrem entschleunigt schafft er bei „Save Me“ Weite für die ruhige Verzweiflung von Gonjasufi, die tröstende Resignation, die auch Hesses Steppenwolf nur zu gut kennt.

Kurz vor dem Selbstmord

„Auch mit dem Selbstmord wird dir, armer Steppenwolf, nicht ernstlich gedient sein, du wirst schon den längeren, den mühevolleren und schwereren Weg der Menschwerdung gehen, du wirst deine Zweiheit noch oft vervielfachen, deine Kompliziertheit noch viel weiter komplizieren müssen.“

Mit The Bug stand Kevin Martin tatsächlich kurz vorm künstlerischen Selbstmord, überlegte, das Projekt sein zu lassen und mit neuen Sounds weiter zu machen. „Normalerweise mag ich an den Künstlern, die ich am meisten respektiere, dass sie ihre Arbeit wie ein Handwerk angehen. Sie haben einen wiedererkennbaren Sound, der hoffentlich immer besser und besser wird. Ich habe also der Versuchung widerstanden „Fuck that“ zu sagen und mir ist klar geworden, dass mein nächstes Album eine Weiterführung von „London Zoo“ sein würde und die Parameter noch weiter ausdehnen würde.“

Grenzen und Kämpfe

Für die Musik von The Bug erfand Martin als Label (im doppelten Sinn) „Acid Ragga“. Auf 7 Inches veröffentlichte er dort in den letzten Jahren Songs, die eindeutig dem Genre zugeordnet werden können. Mit „Angels & Devils“ lotet er nun aus, welche Klänge überhaupt darunter fallen können und dehnt den Begriff aus bis zu den Grenzen von Grime, Dubstep, Ambient und Hip Hop. Seine zahlreichen Alter Egos aus anderen Projekten wie GOD, Techno Animal, Ice oder Curse Of The Golden Vampire helfen ihm dabei nicht weniger als die zahlreichen Gastmusiker, neben den bisher Genannten alte Bekannte wie Miss Red und Justin Broadrick oder neue Gäste wie Copeland, der einen Hälfte von Hype Williams. Bei deren Gastspiel auf der eigentlich ruhigen Seite brodelt es schon gewaltig, massiv pocht der Bass wie ein zu heftiger, rhythmisierter Herzschlag.

Vom Teufel „Fat Mac“ will man mehr, will im Club die wabernden Subbässe am eigenen Körper spüren bis es weh tut. Dieser virtuose und gleichzeitig hypnotische Einsatz schwerer Bässe – ist das nun himmlisch oder teuflisch? Sowohl im Himmel („Void“) als auch in der Hölle („Fuck A Bitch“) erklingt dieser staubtrockene Sound, wie in einem Vakuum. Wo gehört er hin? Zu den Signature Sounds von The Bug. Wenn er auf „London Zoo“ seine Stimme gefunden hat, wie er sagt, dann sind „Angels & Devils“ Zeuge dafür, wie er ein Stück weit zu sich selbst gefunden hat.

Auf dem Album finden sich verschiedenste Facetten von Bassmusik, die Zweiteilung bleibt dabei, wie der Steppenwolf, ein schlüssiges Konzept von Kevin Martin und ein Kampf, den er womöglich austragen musste. Allein durch den titelgebenden Konflikt wäre „Angels & Devils“ aber nicht so ein verdammt gutes Album. Noch kein Meilenstein und nicht das bisher beste The Bug-Album.

"Angels & Devils" erscheint am 25. August bei Ninja Tunes. Der Stream von "ANgels & Devils" hat hier einige lustige Grafik-Gadgets eingebaut.

atwarwithtime.com

Das ganze Album streamt hier auf der Seite des Fact Mag.

Bild(er) © Ninja Tune
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