I'm not Jesus though I have the same initials

Jarvis Cocker besuchte im Rahmen der Viennale, bei der zwei Filme über und mit ihm gezeigt wurden, Wien. Der Pop-Übervater gab sich im Interview ansteckend entspannt mitsamt einer anständigen Portion britischer Höflichkeit.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Me doing a film about steel? That’s going to be awful.

Jarvis Cocker hat "The Big Melt" zusammen mit Martin Wallace umgesetzt. Der Film besteht aus 70 Minuten Archivmaterial des BFI (British Film Institute) über die Stahlindustrie in Sheffield. Die Aufnahmen wären sonst wohl in irgendeiner Gruft verkümmert, meint Jarvis zu Beginn des Interviews. Er selbst habe eigentlich keinen direkten Bezug zu Stahl gehabt. Mit der Zeit wurde ihm allerdings bewusst, dass die Stadt eigentlich ihre Persönlichkeit der Stahlindustrie verdanke. Mehr noch: Hätte es den Stahl nicht gegeben, gäbe es wohl Sheffield nicht. "Egal, ob man es anerkennt oder nicht, die Stahlindustrie hat einen irgendwie geformt."

It was a big industry. It went away. And now everybody is on drugs.

Allerdings lag Cockers Fokus nicht darauf, die Historik der Industrie abzuhandeln. Ein metaphorischer Zugang erschien ansprechender: "Ich dachte, weil wir nun mal aus dieser Stadt sind, hätten wird das Recht, diese Bilder zu nehmen und sie in etwas anderes zu transformieren, sie eine andere Geschichte erzählen zu lassen. Die Geschichte der Stahlindustrie ist ja eigentlich eher eine traurige: Es war eine große Industrie. Die Ära verging. Und jetzt nimmt jeder Drogen (lacht). Diese Geschichte wollte ich nicht erzählen." In "The Big Melt" werden stattdessen Bilder einer religiösen Zeremonie an die Seite von Bildern der Stahlproduktion gestellt. Hier ist Stahl der Gott.

Im Laufe des Projektes entwickelte Cocker eine starke Form des Respektes für die Menschen, die dort arbeiten mussten: "Die standen um sieben Uhr morgens auf und mussten zur Arbeit in die Hölle gehen." Da benötigt man durchaus eine Form der Ablenkung: In einer Szene sieht man beispielsweise eine Familie beim Monopoly spielen. Auf die Frage, ob Jarvis sich ähnlich ablenke, meint er: "Das ist ja das Tolle an der menschlichen Gabe der Vorstellungskraft. Besitzt man Vorstellungskraft, kann man praktisch jeder Situation entkommen. Für mich dient oft auch Musik als Art der Flucht. Sobald ich etwas auflege, das mich anspricht, scheint mein direktes Umfeld einfach zu verschwinden. Du hast erwähnt, dass die Leute Monopoly gespielt haben. Ich fand das auf eine bestimmte Art sehr bewegend."

Der rote Faden der beiden, auf der Viennale gezeigten Filme, findet sich im Fokus auf die Menschen Sheffields. In "Pulp: A Film About Life, Death And Supermarkets" folgt die Kamera nicht nur den obligatorisch exzessiven Bühnenauftritten, sondern auch den Besuchern des großen Pulp-Abschiedskonzertes selbst. Unter anderem einer alleinerziehenden Mutter, die einzig für das letzte Konzert der Band nach Sheffield reiste und die Cocker im Nachhinein auch einmal persönlich traf. "Das erste Mal wurde der Film auf dem SXSW Festival in Austin, Texas gezeigt. Sie ist für diese Premiere angereist und da hab ich sie dann auch getroffen. Ich war absolut überwältigt."

I got all this bad views of what male is – but unfortunately I was one.

Dass Jarvis Cocker das Schicksal der jungen Mutter faszinierte, begründet sich vielleicht in seiner Erziehung. Er wuchs ohne männlichen Bezugspunkt auf. Auf die Frage, wie es ihm dabei erging, erklärt er: "Die Einzige Möglichkeit für mich Dinge zu erfahren, war den Frauen zuzuhören. Sie sprachen also über ihre Männer und über Sex und solche Sachen. Wenn man jung ist, will man darüber ja alles erfahren. Das sind dann so große Mysterien und man wundert sich, wie man da Anschluss daran finden kann."

Ich bin neben Jarvis Cocker in der Toilette gestanden, hier weiter im Text bitte.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...