Guss im Wohnzimmer

Nicht nur am Karlsplatz tummelte man sich am Wochenende zum Popmusik-Hören, sondern auch in einer kleinen Ortschaft in Unterkärnten. Das Acoustic Lakeside ist und bleibt Österreichs idyllischstes Festival. Trotz Regen und Stromausfall.

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Es ist ein Wunder, dass Soak hier überhaupt Internet Empfang hat. Die irische Singer-Songwriterin sitzt Backstage in einem Bierzelt in Unterkärnten und versucht einen Flug nach London zu buchen. Von der Bühne schallt der Auftritt der New Yorker Band Augustines herüber. Als ein Stromausfall ihre Show unterbricht, stellen sie sich einfach ins Publikum und spielen in aller Ruhe ein Akustik-Set. Gäbe es das Acoustic Lakeside nicht, man müsste es erfinden. Vor allem nachdem sukzessiv eingestampfte Kulturförderungen die Kärntner Popkonzertschiene so gut wie lahm gelegt haben.

Popstars und Pampa

Rund herum gibt es nicht viel bis auf vereinzelnte zweisprachige Ortstafeln, Waldwege und Schienenersatzverkehr. Das Lakeside ist wie eine Lichtung die man nach einer langen Wanderung findet. Oder ein Wohnzimmer im Freien. Angesichts der Lage in Hintertupfing muss man an den Song "Niemand will den Hund begraben" der deutschen Punkband "Muff Potter" denken. Darin besingt die Band wie es ist, seine Jugend am Land zu verbringen. Abgesehen von Zeltfesten und Kirchtag ist in der 2000 Einwohner Gemeinde Sittersdorf über das Jahr nicht viel los. Und doch spazierten hier die Crystal Fighters in Badehosen herum. Thees Uhlmann spielte eines seiner ersten Live-Konzerte als Solo-Künstler.

Am Freitag stand einer auf der Bühne, der einst mit Steve Albini produziert, mit Johnny Cash musiziert und mit Zach Galifianakis für Kanye West getanzt hat (Will Oldham). Kurz davor stimmte das Männer-Duo Friska Viljor ihre Ukulelen. Der Bandname bedeutet aus dem Schwedischen übersetzt "wunschlos glücklich". Genau so müssen sich die 3000 Besucher gefühlt haben, als sie eines der limitierten Tickets ergattert hatten, die bereits im Winter ausverkauft waren.

Jeden Juli wird der Sonnegger-See zum Mekka für Fans alternativer Indie-Rock und Subpop Musik. Artist-Geheimtipps sind bei jedem Line-Up dabei (bei mir diesmal: Lola Marsh aus Tel Aviv), das Festival selbst ist inzwischen über die Grenzen hinaus bekannt. In der Facebookgruppe stritt man sich in den Wochen davor um die letzten Tickets. Okay, man hätte auch schnell mal gratis über den See bis zum Gelände schwimmen können. Aber das tut sich hier keiner an. Denn die kommenden drei Tage sollten wie immer vor allem eines sein: gemütlich und stressfrei.

Nada Surf und Regenjacke

Der Regen hat das zeitweise etwas schwer gemacht. Dear Reader, (inzwischen) ein Solo-Projekt der südafrikanischen Sängerin Cherilyn MacNeil musste verschoben werden, weil es am Freitag Nachmittag wie aus Kübeln zu schütten beginnt. Irgendwo schlägt ein Blitz in einem Baum ein. Mein Zeltmitbewohner trägt einen Müllsack mit angesteckter Hanfplakette. Die Nachbarn beginnen sich im Freien die Haare zu waschen. Irgendwo schreit ein Kleinkind in einem Zelt. Man muss auch sagen: Kein Festival eignet sich so gut für einen Familienausflug wie das Lakeside.

Jeder hofft, dass es nicht zu hageln beginnt und vernichtet seine Bier-Vorräte aus Langweile früher als geplant. Spätestens bei den großartigen Polkov aus Graz ist man wieder trocken und der Asphalt abgekühlt. Nur für das Finale am Samstag – übrigens der dritte hiesige Nada Surf Auftritt in zehn Jahren – muss man sich durchgehend die Regenjacke überziehen. Oder man geht einfach Schwimmen, weil eh schon alles nass ist.

Tinder, analog

Alles ging sich aus. Alte Helden (Ezra Furman, Bonnie „Prince“ Billy), mitreisende Newcomer (Soak, Lola Marsh), Pop-Größen (Friska Viljor, Augustines), Math-Rock-Weirdos (Art Brut), Synth-Hymnen (Aurora), Sologitarristinnen (Lisa Hannigan), die männlichen Pendants dazu (Philipp Szalay) und großartige Lyriker, deren Texte man sich einfach nur tätowieren möchte (Die höchste Eisenbahn). Dazwischen: Lagerfeuer, Heuballen, Traktor-Fahren und vom Steg köpfeln. Zusätzlich zum FM4 Sandkisten- Fußballturnier gab es heuer auch erstmals ein Live-Herzblatt inklusive Schmusen und Schnaps-Trinken auf der Bühne. Weil Tinder am Land so schlecht funktioniert.

Das Acoustic Lakeside wird auch 2016 nach wenigen Augenblicken ausverkauft sein. Infos zu den Tickets gibt es bald hier:

www.acousticlakeside.com

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