Fuck, this is everything I wanted

Es gibt sicher nicht viele Leute, die von sich behaupten können, alles erreicht zu haben, was sie sich gewünscht haben. Wallis Bird kann es. Wir wiederum können uns glücklich schätzen, dass sie uns daran teilhaben lässt, und zwar in Form ihres neuen Albums "Home".

Das letzte Mal haben wir uns vor etwa zwei Jahren unterhalten, damals hattest du gerade dein Album "Architect" veröffentlicht, und jetzt erscheint in Kürze das Nachfolgealbum "Home". Kannst du uns ein wenig darüber erzählen?

Es ist ruhiger als meine bisherigen Alben, vor allem deshalb, weil ich selbst im Geiste ruhiger geworden bin. Im Prinzip ist es ein Liebes- und Dankesbrief. Außerdem ist es ein Schritt in Richtung älter werden und sich dabei wohl zu fühlen. Es gibt weniger Text, weniger Akkorde und weniger Verrücktheit. Ich wurde viel von elektronischen Klängen beeinflusst, und es ist das erste Mal, dass ich keine akustische, sondern nur elektrische Gitarre verwendet habe. Das Album klingt sehr rhythmisch und reduziert und fühlt sich sehr warm an.

Wenn du keine Akustikgitarre verwendet hast, hat sich dadurch deine Art zu Komponieren verändert?

Früher habe ich meistens mit der Akustikgitarre komponiert, diesmal hauptsächlich auf der E-Gitarre, aber auch auf Schlagzeug, Percussion und Klavier. Es gibt sogar einen Song, der nur auf Bass basiert. Zu Beginn habe ich alles auf der elektrischen Gitarre komponiert, das war mein Ausgangspunkt. Als ich dann nach einem Jahr ein Klavier gekauft habe, hat sich alles verändert. Ich habe einige Songs mit neuen Instrumenten neu aufgenommen. Je mehr andere Instrumente ich ausprobierte, desto mehr begann alles Sinn zu machen. Etwa 70% der Aufnahmezeit habe ich alleine verbracht, und als alles geschrieben war, holte ich für die letzten 30% die Band dazu, um Klarinette, Kornett, Violine, Klavier etc. zu ergänzen. Erst ganz zum Schluss haben wir den Gesang aufgenommen. Zum Großteil arbeitete ich aber alleine zu Hause, mit sehr positiven Vibes.

Gab es einen speziellen Grund, warum du die akustische Gitarre gegen andere Instrumente getauscht hast?

Mein Manager hat mir dazu geraten, eine Auszeit zu nehmen, er sorgte dafür, dass ich keine Auftritte hatte und sagte, ich soll eine Zeitlang zu Hause bleiben, um ganz in Ruhe Musik zu machen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich aufgehört, akustische Gitarre zu spielen und stattdessen zur elektrischen zu greifen, einfach, weil sie leichter zu bespielen ist. Alles musste leicht und frei und unbeschwert sein. Später kam das Klavier dazu, das ich viel über Delay-Effekte spielte und damit Klangräume erzeugte.

Und warum die Auszeit, hattest du davor eine sehr stressige Periode?

Ich hatte keine außergewöhnlich stressige Zeit, ich arbeitete einfach generell zu viel und habe es aber selbst nicht realisiert. Ich habe begonnen, miese Songs zu schreiben. „Architect“ ist definitiv nicht mein bestes Album. Verglichen mit „Home“ liegen Welten dazwischen, das neue Album hat viel mehr Tiefgang. Ich musste eine Auszeit nehmen, und habe es nicht realisiert, bis ich damit begonnen habe. Ich war wunderbar, um herunterzukommen. Ich habe für ein paar Monate fast nicht gesprochen, habe viel geschlafen und geträumt.

Aber du bist nicht auf die einsame Insel geflüchtet, sondern bei dir zu Hause geblieben.

Ich habe die Zeit zu Hause verbracht, was absoluter Luxus ist, da ich als Musikerin ständig auf Tour bin. Ich habe zehn Jahre lang 200 Tage pro Jahr auf Tour verbracht. Also musste ich mich selbst stoppen. Als ich es dann tat, hat sich vieles wieder regeneriert. Ich habe sehr tief in mich hinein gehört und viel dabei gelernt.

Wenn wir gerade von zu Hause sprechen, lebst du immer noch in Berlin?

Ja, ich fühle mich sehr wohl dort, es ist eine sehr offene Stadt, sehr spontan, abwechslungsreich und antreibend, gleichzeitig aber auch sehr ruhig, Berlin ist eine tolle Stadt für mich.

Zurück zum Album "Home", der Titelsong daraus klingt sehr intim und offen, außerdem ist es ein a capella-Song. Steht dieser Song richtungsweisend für das Album?

„Home“ ist die große Lovestory. Der Song, und eigentlich das gesamte Album ist eine Art Liebesgeschichte zwischen mir, meiner Freundin und meinem Team, mit dem ich schon so lange zusammen bin, dass sie wie Geschwister für mich sind. Es dreht sich um eine ganz spezielle Phase in meinem Leben, in der ich mich fühle, dass sich alles so entwickelt hat, wie ich es mir gewünscht habe. Als ich das realisierte, sagte ich selbst zu mir: „Fuck, das ist alles, was ich immer wollte!“ Deshalb habe ich das Album geschrieben, um allen zu sagen: „Hey, schaut her, ich danke euch allen. Das ist es, mehr brauche ich nicht.“

Wow, das klingt toll.

Ja, ich sagte mir, am besten ich schreibe ein Album darüber, um mich daran erinnern zu können, wie glücklich ich sein kann.

Viele Musiker verwenden gerne Metaphern in ihren Texten, deine Texte dagegen sind meist sehr offen und direkt, fällt es dir leicht, so offen zu schreiben oder kommen die Worte einfach in dieser Weise aus dir heraus?

Ja, im Prinzip kommen sie so heraus, ähnlich einer Konversation. Es ist so, als würde ich mit dem Mikrofon sprechen (lacht). Ich bin persönlich nicht sehr gut mit Metaphern, obwohl ich poetische Sprache sehr gern habe, aber ich komme aus der Arbeiterklasse, ich mag Echtheit. Doch das ist nur, wie ich die Welt sehe, ansonsten liebe ich Poesie, ich liebe das Schöne im Leben.

Und du hast keine Scheu davor, vielleicht zu viel von dir selbst und deiner Umgebung zu offenbaren?

Das war mein ganzes Leben schon so, und ich fühle mich gut damit. Ich bin jetzt nicht die „ich sage alles was ich denke“-Person, aber oft kann ich nicht gut filtern, was aus mir heraus kommt.

Was ist Heimat für dich?

Das Gefühl, okay mit der Welt zu sein, zu wissen, dass es auf und ab gehen kann, außerdem Behaglichkeit und Sicherheit bei den Leuten um mich herum, und das glückliche Leben, das ich habe.

Es geht also mehr um Personen und Gefühle und weniger um den Ort.

Definitiv, solange es jemanden gibt, bei dem ich mich wohl fühle, dann fühle ich mich zu Hause, denke ich.

Gibt es dennoch einen Ort, den du als Heimat bezeichnen würdest?

Ich habe zwei, nein eigentlich habe ich mehrere Heimaten. Zum einen Berlin, wo alle meine besten Freunde zu Hause sind und wo ich mit meiner Freundin lebe. Auch meine Eltern lieben die Stadt und kommen oft zu Besuch. Und dann gibt es mein Elternhaus, das die ultimative Heimat für mich ist. Aber auch Mannheim ist ein toller Ort. Und auch jedes Mal wenn ich hierher nach Wien komme, treffe ich gute Freunde, ich fühle mich also auch hier zu Hause. Vermutlich muss das so sein, dass ich mich an verschiedenen Orten daheim fühle, nachdem ich so viel herum reise (lacht).

"Home" von Wallis Bird erscheint am 30. September.

Bild(er) © Stephan Brueckler
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