Der Suder-Guide zum Popfest

Popfest war. Wir haben viel gesehen, getanzt, geplaudert und getrunken. Es war also ziemlich gut. Oder?

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99 Freunde nehmen an einer Veranstaltung in deiner Nähe teil, meldete Facebook am Donnerstag übermotiviert in aller Früh. Sechstes Popfest-Wochenende, Ausnahmezustand in Wien, Tag Eins, gemma. Man plante seine ambitionierte Konzertroute inklusive Dosenbier-Pausen noch untertags im Büro, überlegte, wie man diverse Freundeskreise all die Abende über koordinieren würde und fragte sich ganz allgemein, wie man denn die anstehenden vier Tage und Nächte am ehesten überstehen könnte. 57 Acts gab es zu bejubeln, darunter viele Altbekannte, die man mittlerweile als Popfest-Inventar bezeichnen könnte, aber auch einige noch nie zuvor (live) Gehörte. Im Endeffekt verwarf man seine perfekten Pläne eh. So wie jedes Jahr.

Das diesjährige Kuratorenduo Stefan Trischler aka Trishes und Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo hatte ein Programm zusammengebastelt, das einerseits den FM4-Indie-Mainstream zufrieden stellt (5/8erl in Ehr’n, Clara Luzia und Yasmo), andererseits die nicht ganz so massentaugliche Pop-Avantgarde (Fennesz, Kimyan Law und Mile Me Deaf) präsentieren sollte. Größtenteils gelungen. Wie in den letzten Jahren. Mit Ausreißern, aber hey, alles subjektive Befindlichkeiten. Ein definitiver Ausreißer nach oben war der hohe, vermutlich vorrangig von der frauenpolitisch engagierten Susanne Kirchmayr initiierte Frauenanteil unter den auftretenden Bands. Der kratzte nämlich dieses Jahr fast an der 50 Prozent-Marke. Von wegen Wienpop sei halt ein eher eine Männerdomäne. Man muss halt bereit sein, nicht einfach den Status Quo zu akzeptieren. Oh yeah, she performs!

Auch deshalb ist das Popfest eine großartige Sache. Ein richtiges Festival-Vorbild sogar. Gejammert, gemotzt und gehatet wurde natürlich trotzdem ohne Ende. Davor, danach, mittendrin. Wir haben die fünf beliebtesten Negativ-Kommentare analysiert, mit denen man, auch wenn man nicht dort war, so tun kann, als ob.

01. Es waren viel zu viele Leute dort.

Duh. Das ist ein Argument, das durchaus seine Berechtigung hat, ohne einen schlauen Verbesserungsvorschlag aber auch nur ein „Mrs./Mr. Obvious“ als Reaktion verdient hat. Ja, über 60.000 Menschen sind viel. Ja, es werden jedes Jahr mehr (das wird uns auch die offizielle Bilanz-OTS wieder bestätigen, die in Kürze eintrudeln wird). Ja, das nervt auch die optimistischsten Popfest-Befürworter.

Das Ganze hat zwei Seiten. Einerseits ist ein großes Publikum super, andererseits hat man Angst, das Popfest könnte zur kleinen Schwester des Donauinselfests werden. Fakt ist, die Leute werden nicht mehr weniger werden, sorry. Fakt ist auch, dass sich das Areal um die Seebühne nicht plötzlich vergrößern wird. Die stets um popmusikalische Harmonie bemühten Damen von Walzerkönig schlugen daher am Donnerstag via Twitter vor, die tausend Essensstände vom Platz zu verbannen. Das würde nicht nur wieder mehr freie Fläche schaffen, sondern die Leute auch davon abhalten, sich im Rausch grindiges, überteuertes "Streetfood" einzuverleiben.

Support your local Würstelstand. Und man könnte seinen Augen auch Absurditäten, wie die Hippies, die vor dem Tasty Donuts-Wagerl zu deren Radio-Drum’n’Bass abgegangen sind, ersparen. Bittedanke.

02. Es spielen jedes Jahr dieselben Bands.

Richtig und falsch. Es gibt bekannte Wiener Heroes wie zum Beispiel Kreisky, Attwenger und Clara Luzia, die quasi im Biennale-Takt die Seebühne beehren, was damit zu tun hat, dass sie sehr viele Menschen anziehen und durchschnittlich alle zwei Jahre neues Material zum Live-Spielen veröffentlichen. Weiters ist Wien zwar (nicht erst seit dem Wandabuch-Wunder) eine wunderbar vielfältige Popstadt, aber trotzdem nicht Stockholm oder Portland. Die Auswahl ist begrenzt und das ist oke.

Es ist einem ja zum Glück noch selbst überlassen, ob man sich Attwenger zum 70. Mal anschaut. Jedenfalls gibt es jedes Jahr auch Newcomer und Rising Stars wie Kimyan Law oder Leyya, die sich mit etablierten Künstlerinnen und Künstlern abwechseln. Man profitiert voneinander. Also, get your facts straight, Suderanten.

03. Gratisfestivals sind der Untergang der Live-Kultur.

Dieser ist der beste Kommentar für fortgeschrittene Hater, für dessen Argumentation man sich jedoch ein bisschen Zeit nehmen sollte, denn sollte das Gegenüber mitdenken, könnte er schnell an Halt verlieren. Wenn nicht, scheint man dafür ur der Insider zu sein.

Zwar sei es einerseits super, wenn sich (vor allem junge) Bands einem derart breiten Publikum präsentieren können, andererseits seien Veranstaltungen wie das Popfest der Tod der regulären Live-Shows. Denn niemand zahle mehr für Konzerte in Locations wie Rhiz, Szene und Arena, wenn es die Acts doch ständig (!) irgendwo gratis zu sehen gibt. Das ist natürlich Quatsch. Wer gerne auf Konzerte geht, zahlt auch gerne für Tickets. Dass beim Popfest viel „Laufkundschaft“ herumschleicht, ist wieder eine andere Sache. Siehe auch Punkt 4.

04. Die Leute kommen nicht wegen der Musik.

Breaking! Viele Leute nehmen nicht unbedingt wegen der Musik am Popfest teil. Manche gehen sogar nur hin, um Freunde zu treffen oder um ein bisschen Festival-Luft mitten in der Stadt zu schnuppern, zum Afterwork-Rumsitzen und Dosenbier trinken, zum Schauen oder einfach aus FOMO. Es soll sogar ein paar Social Media-Hoes geben, die nur kurz vorbeispazieren, um die Kulisse mit der leuchtenden Karlskirche im Hintergrund zu instagramen, um der Welt mitzuteilen „ich war dabei“. Deren größtes Problem dürfte heuer gewesen sein, dass die Front der Kirche (klassisches #popfest-Motiv der letzten Jahre) durch ein hässliches Baugerüst verdeckt war.

Alle diese Leute haben ihre Daseinsberechtigung auf dem Popfest. Wären sie nicht dabei, wäre es ein versnobter Szene-Treff und man würde sich wiederum aufregen. Sich treffen, trinken, tanzen, plaudern, bewusst oder peripher Musik hören, sitzen, stehen, gehen, liegen – das ist alles oke.

05. Man wird ja wohl noch kritisch sein dürfen.

Ja. Aber undifferenzierte Rants sind selten mit fundierter Kritik gleichzusetzen.

Das Popfest fand vergangenes Wochenende am Karlsplatz statt. Für das Popfest 2016 sollte man sich diesen Suderanten-Guide vielleicht bookmarken. Das Popfest 2016 wird nämlich stattfinden und es darf auch dann wieder gesudert werden.

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