Das Verlassen der Kategorie

Peter Licht veröffentlicht zugleich ein Live-Doppel-Album sowie ein Buch und macht damit klar, warum er der Meister des Uneindeutigen ist.

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"Lob der Realität" nennt Peter Licht seine – übrigens vorab crowdfinanzierte – Werkschau in Form eines Live-Doppelalbums sowie die begleitende Textsammlung. Diese auswuchernde Veröffentlichungspraxis ist von den Liedern bzw. dem Buch vom Ende des Kapitalismus bereits bekannt. Und ähnlich wie damals entsteht mit den Geschwistermedien Buch und Platte von "Lob der Realität" ein sich merkwürdig gegenseitig stützendes und störendes Konstrukt, das Peter Lichts Ausnahmestatus in beiden Bereichen eindrucksvoll untermauert und zum Einsturz bringt zugleich.

Natürlich lässt sich angesichts eines Repertoires wie des Peter Licht’schen immer über die Auswahl der Songs für die Live-Alben streiten. (Keine "Mutter aller Parties" und kein Überhit "Sonnendeck". Absicht? Oder doch nicht?) Die Transformation der Songs zu teilweise recht stark von den Studioaufnahmen abweichenden Variationen wie ihre schlussendliche Reihenfolge und Zusammenstellung lässt diese jedenfalls stets nur als vorläufig endgültige Zwischenstufen erschienen, die dennoch gleichzeitig absolute Gültigkeit ausstrahlen, über sich hinaus weisen und so als eine würdige Repräsentation des Gesamtwerks erscheinen.

Willkür des Hosengotts

Widersprüche werden bei Licht eben nicht aufgelöst, sondern umarmt. So zerhackt er etwa "Gerader Weg" mit seinen Tempiwechsel gewissermaßen in seine Bauteile und setzt diese mehrmals neu zusammen. Und auch die schon bei Konzerten sonderbare Stimmung, wenn das Publikum Hits wie ausgerechnet "Wir sind jung und machen uns Sorgen…" lauthals und fröhlich mitsingt, wird durch die Fixierung am Tonträger noch einmal in eine schwer zuordenbare Richtung verschoben. Aber so ist es eben mit Widersprüchen. Bemerkenswertestes Element sind jedoch die minutenlangen Bühnenansagen. Diese reichen von der Beschreibung, wie der Arbeitgeberpräsident mit einer aus einer modifizierten Modelleisenbahn gebauten Maschine auf die Idee zum Song "Benimmunterricht" kommt, über die Willkür des Hosengotts bis zur endgültig sämtliche Grenzen sprengenden Predigtmeditation des Sausens der Welt.

Immer anders als man denkt

Manche dieser surrealistischen Kleinode, die auf der Bühne erzählt werden, finden sich auch im Buch wieder. Das ist durchzogen von zeitgenössischen Monologen, Dialogen, einer Typologie der Literatur und zahlreichen nicht mehr zu Textformen – wie Prosa, Lyrik oder was auch immer – zuordenbaren Lobreden. Dabei widmet sich Peter Licht Themen wie Schall, Zinsen, Fett und Fell, um nur einige zu nennen. Es ließen sich typische Arbeitstechniken benennen, mit denen Peter Licht sich in seinen Texten stets an die Grenzen der Sinngebung (und darüber hinaus) begibt: das tautologische Beharren auf Selbstverständlichkeiten, die dadurch angreifbar werden, das Abstrakte konkret nehmen ("Ich brauche mehr Wirbel um mich herum" denkt sich ein alterndes Rückgrat), von einer kleinen Verschiebung aus Absurdes auf die Spitze treiben bis es nicht mehr weiterzugehen scheint und dann noch ein wenig mehr.

Und doch treffen es all diese Beschreibungen nicht ganz, dreht Licht immer noch ein weniger, oder wo anders weiter am Verfremdungsrädchen und gelangt so zu endgültig Sinn aus allen Ecken und Enden rinnen lassenden Skurrilitäten. Dann wird aus Zwergenstaaten mittels Speichelbooten ausgebrochen oder es werden Nichtmöhren verzehrt. Allem ist gemein: Man kriegt diese Texte nicht zu fassen, man kriegt Peter Licht einfach nicht scharf. "Wir verließen die Kategorie" heißt es einmal und auf diesem Umweg (oder Weg?) ist "Lob der Realität" die vielleicht schärfestmögliche Kritik an ebendieser sogenannten uns umgebenden Realität. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch ganz anders, denn: "Ich bin gar nicht so wie ich bin".

Peter Licht – "Lob der Realität" erscheint als Doppelalbum am 3. Oktober bei Staatsakt und in Buchform am 6. Oktober bei Blumenbar. Am 29. Oktober gastiert Peter Licht im Wiener Schauspielhaus.

Bild(er) © Blumenbar, Staatsakt, Christian Knieps
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