Atmen lassen

Wir haben es im Pre-Stream, DJ Mustard Fans wollen es und die Alt-RnB Truppe auch: Tinashes mit Spannung erwartetes Debütalbum "Aquarius".

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2 on

"Ich liebe es zwei anzukriegen" ist nicht die beste Übersetzung von "I love to get 2 on". Die zwei ist eher SMS-isch für "too" und bedeutet damit ungefähr, dass man zu gut drauf ist, "zu an" eben, vielleicht so, wie wenn man statt der erlaubten 40 Watt-Birne mal wagemutig eine 60 Watt reinschraubt. Das "Turn down for what"-Lebensgefühl in Senfsauce eben, weil: Mustard on the beat, ho. Außerdem ist es völlig egal, was "2 on" heißt, die Nummer ist – eh klar – ein Banger. 25 Mio. Klicks für das "Hey, Hey"-Sample, bisschen Geschnipse, paar Hi-Hats – Musik so einfach wie eine Backmischung und so abhängig vom Zuckerguss, der Hook. Und die Hook glänzt. "Mann, ich liebe gut drauf zu sein, ich liebe es, zu gut draufzusein" oder so ähnlich singt da – aufgekratzt und unschuldig zugleich – Tinashe, die jetzt bitte alle kennen sollen.

Das erst 21-jährige RnB-Talent läutet gerade an der Tür zum großen Pop Star Fame und ob aufgemacht wird, wird auch das Debütalbum "Aquarius", das sie als Gastgeschenk dabei hat, mitentscheiden.

Fünfjahresplan

Tinashe Kachingwe hat vermutlich schon im Mutterleib mit einem Fünfjahresplan begonnen; im frühen Kindesalter wurde mit Tanzen, Modeln und Schauspielern fortgesetzt. Darauf folgte die obligatorische, eher unterirdische, Girlgroup The Stunners, Plattenverträge wurden unterzeichnet, Musikvideos gedreht. Klingt alles sehr yoncé – da passt auch eine der Interludes auf "Aquarius" dazu, offenbar eine alte Aufnahme der kleinen singenden Tinashe, was man schon als Referenz an den Beginn von "Flawless" werten könnte und damit als Wunsch, es auch mal so weit zu bringen wie Queen B.

Tinashe war Celeste, das Schatzi von Jake in "Two and a Half Men", sie spielte unter anderem an der Seite von Tom Hanks und nachdem es sich endlich ausgestunnert hatte, konzentrierte sie sich ganz auf ihre musikalische Solo-Karriere. Dass sie dem Kaugummi-Image der Stunners den spätpubertären Mittelfinger zeigte, mit ordentlich viel Attitüde, bauchfrei und Baggypants auf Straße machte, verwundert da nicht unbedingt. Die Qualität der Musik, die sie veröffentlichte, schon.

Denn trotz Puppengesicht und Engelsstimme war da oft etwas Dunkles, Schweres; kein konstruiertes Kontrastprogramm zum rosa Pop der Girlbandzeit sondern etwas Echtes; es war, was Tinashe von vielen anderen jungen RnB-Künstlerinnen unterschied, machte sie glaubwürdig und vor allem selbstbestimmt. Tinashe produzierte für die Tapes auch selbst – man hatte jedenfalls nicht das Gefühl, dass ihr jemand dreinredete oder zu lenken versuchte, was diese junge Frau da tut. "Fuck your opinion, I don’t need your approval, baby", heißt es da in "Stunt", einem der besten Tracks auf dem letzten von drei ausgezeichneten Mixtapes, "Black Water". Daneben ein hervorragender Gastauftritt auf Erik Hassles EP Somebody’s Party namens "Innocence Lost".

Das fantastische "Vulnerable" , ebenso auf "Black Water" sollte ihr vorläufiger Höhepunkt sein. "Vulnerable" ist unerträglich sexy und dunkel, manche wollen da eine Aaliyah Nachfolge raushören – Travis Scott, der ein paar Rhymes beisteuerte, zitiert nicht umsonst aus Kanye Wests düsterem "I’m in it" – und in etwas mehr als drei Minuten zeigt der Track, was Tinashe kann: Natürlich ist das alles ein einziger vertonter Schlafzimmerblick, aber eben auf Augenhöhe; wie hier über Sex geredet wird, ist lasziv aber fordernd. Gut, das spielt sich nicht auf einem Twigs-Level ab, aber der Vergleich mit Kelelas "Cut 4 Me" Mixtape geht sich aus.

Die einen und die anderen

Dort hätte man ansetzen könnten, dort ausbauen, viele haben das zumindest erwartet und ehrlich gesagt: deswegen hat man sich auf "Aquarius" gefreut. Wenn man zu den einen gehörte zumindest. Wenn man zu den anderen gehörte, nämlich zu denen, die den Glühbirnen-Track lieben, hat man sich auch gefreut, auf weitere Banger mit Senf. Tinashe mach keinen Hehl daraus, dass "Aquarius" ihr "echtes" Debüt ist, eben das, mit dem sie sich der Welt präsentieren will. Gleichzeitig ärgert sie sich in Interviews, zum Beispiel mit Truants darüber, dass viele sie für ein junges Popsternchen mit einem Hit halten und gar nicht über ihre musikalische Vergangenheit Bescheid wissen.

Zwei Stühle

Dieses "zwischen-zwei-Stühlen-Sitzen" ist auf den ersten Blick die Schwäche von "Aquarius". "All Hands on Deck" kracht nicht ganz so gut wie "2 on", ein zweites "Vulnerable" gibt es auf dem Album aber auch nicht. Bei Cover-Artwork und Titel wurde wenig Farbe bekannt, die ganzen Pre- und Interludes wirken aufgesetzt. Dem klassischen DJ Mustard-Anhänger ist das wohl zu wenig Hit-lastig, der weitaus kleineren Alt-RnB-Neigungsgruppe zu wenig experimentell, auch wenn die großartige Nummer "Bet", nochmal an dem düster-sexy Vibe vom "Black Water" Mixtape anschließen kann.

Atmen lassen

Lässt man "Aquarius" aber ein bisschen atmen – so Rotwein-Style – und schenkt ihm das, was angeblich keiner hat, nämlich Zeit, entpuppt sich das Debüt auf den zweiten Blick als ziemlicher Grower, da und dort gibt’s den Twist in der Melodie, interessante Bridges und Strukturen, quirlige Flöten. Stimmlich ist Tinashe gut wie noch nie, spielt sich selbstsicher und meistert die Emotionen. "Aquarius" muss zwar entdeckt werden, hält in seiner Wirkung aber an. Wenn eine junge Künstlerin zum Erscheinen des Debütalbums schon auf eine so abwechslungsreiche Karriere zurückblicken kann, während der sie sich nicht gescheut hat, neue Wege zu beschreiten, kann man sich sicher sein, – Plattitüde hin oder her – dass man noch viel von ihr hören wird.

"Aquarius" von Tinashe erscheint am 3. Oktober via Sony/RCA. Hier ist das Album im exklusiven Pre-Stream.

Bild(er) © Sony Music
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