Aaaaaamore

Vienna meine Stadt. Wanda haben im Gasometer ihre bisher größte Österreich-Show gespielt. Bologna passte gerade noch rein, während sich davor Nino selbst zerlegte. Fotos, Text hier.

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Fünf Stunden Steh- und Tanzparty standen an, »The First Waltz« stand an. Anfangs hatten manche noch gespottet: Aber die große Halle im Gasometer ist ausverkauft, sogar Gästelistenschnorrer konnten nicht schnell genug schauen.

Zum Aufwärmen wird die kalte Halle mit Polkov vom Band bespielt, dann Falco und dann Das trojanische Pferd. Jägermeistergirls bieten ihr bitteres Kraut an. Man merkt früh, dass heute anders wird. Jahrelang waren die, die heute auf der Bühne stehen, in Bars und Beisln, spielten für sich und die ihren. Heute sieht man gesetztere ältere Paare jenseits der 30, »Camp David«-Polos, Oldies, die wohl mal was Kulturelles erleben wollen und Fangirls, die in den 00ern FM4 gehört haben. Allgemein ist der Douchebag-Anteil groß.

Anfangs auch auf der Bühne. DaStandard-Migrationsglossarist Bogumil Balkansky und FM4-Low-Lifer Todor Ovtcharov fungieren als MCs der Show. Sie stolpern durch die Ansagen, sind peinlich, viel zu obszön und einfach blöd. Sie fragen sich, warum sie heute durch die Show führen. Das Publikum auch. Mehr Leute gehen aus der Halle raus als rein.

Monsterheart ist die erste Künstlerin. Anna Attar hatte man am Vortag bei der allerersten Show der Buben im Pelz sträflich vermisst – ihr Gesang auf dem Velvet-Underground-Cover »Tiaf wia a Spiagl« ist doch so zauberhaft. Sieben Frauen stehen nun leibhaftig auf der Bühne, sieben mehr als nachher. Schlecht gemischte Höhen kommen ihnen ein bisschen in die Quere, ihr Popzirkus in Schwarz zwingt so Manchen zum Mitwippen, die Bühne wirkt zu groß, so ganz mehrheitsfähig ist das alles nicht. Die Leute sind halt nicht da, um englischsprachigen Bubblegum- und späten Yeah-Yeah-Yeahs-Pop zu, ja, konsumieren. Sagen wir so: Zum Eingrooven ganz gut, im MQ beim Electric Spring wäre das Monsterheart-Ensemble besser aufgehoben.

Der schönste Mann von Wien

Worried Men & Worried Boy sind da schon erfahrener auf den großen Bühnen, Vater Herbert Janata sowieso, sein Sohn Sebastian in the rain noch mehr. Entsprechend routiniert schaut das aus. Beginnend mit der Dedicated-Follower-of-Fashion-Hymne »Da Maun im Frack«, entspinnt sich ein Netz aus Songs, die überraschenderweise nicht nur vom Album sind, etwa »Kana mog mi«,»Wandern durch den Wienerwald« oder »Da Mensch is a Sau«.

Im Vergleich zum allerersten gemeinsamen Auftritt vor Monaten im Rhiz ist das Zusammenspiel noch besser, Sebastian kann sogar schon richtig gut Gitarre spielen. Herberts Kazoo ist sowieso immer gut. Überhaupt sehr variable Tempi. Bei »Glaubst i bin bled« und »Oberstleutnant« johlt das Publikum erstmals bei einer Songankündigung, auch wenn danach versungen wird. Der Sound ist äußerst mau. Trotzdem kommen Worried Men & Worried Boy gut an. Zum Highlight, zu »Der schönste Mann von Wien«, singt natürlich der Nino, gekleidet in fancy Jacke. Und der Song passt halt wie Deckel auf Topf, es stimmt halt so sehr. Zum Abschluss noch ein Liebeslied auf Körperausdünstungen.

In der Pause wird das neue Album von Das trojanische Pferd angeteasert, es kommt im Mai und hört sich sehr vielversprechend an. Auch wenn Hubert Weinheimer wohl mittlerweile das ist, was er am ersten Album nie sein wollte. »Der Nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul«, naja. Die MCs reden irgendwas.

Dann Der Nino aus Wien. Er war ja in letzter Zeit vor allem mit Ernst Molden unterwegs, sein Sidekick und Wöd-Gitarrist Raphael Sas war kürzlich solo im Studio, sein Zweitling steht bald an. Das Schlagzeug ist vom Bühnenrand nach hinten gewandert, auf der Bass-Drum steht der Name von Wiens verurteiltem Grafitti-Bomber Puber, Bastian-Schweinsteiger-Lookalike pauT am Bass trägt weiß, Nino selbst trägt wohl in Reaktion auf all die Neue-Austropop-Hysterie eine Deutschland-Flagge. Der Anfang: überraschend, echt. Das superselten gespielte »Walzerlied« bekommt einen neuen, klaviergetragenen und sphärischen Anstrich, mit »Fühlen« wird es früh sehr rockig. Später, best thing ever, »Hallo« von Krixi, Kraxi und die Kroxn, selbstverständlich kommt auch Ninos Angebetete und Kraxi Natalie auf die Bühne. »Hallo« haben sie schon wirklich Ewigkeiten nimmer gespielt – ich war seit 2011 bei 23 Konzerten von Nino.

Die Setlist wird immer mehr zur faustdicken Überraschung. Das Publikum tratscht extrem viel. »Plurabelle«, dann »Oh wie glücklich und wunderschön mein Leben ist«, den mal jemand als den Song, den Pete Doherty hätte schreiben sollen, bezeichnet hat. Spätestens bei »Abtauen Girl« weiß man aber mit Bestimmtheit, dass Nino einfach solo im Rhiz spielen sollte. Der Nino aus Wien zerlegt sich selbst, mit voller Absicht, eine alte österreichische Musiker-Leidenschaft. Er bleibt hier unverstanden. Das ist nicht sein Publikum, das hier schreibt Feuilleton mit »ö«. Der größte österreichische Gegenwartsmusiker hat sich dieses Gasometer nicht verdient.

»Aaaaaaaaaaaaaaamore«

Man hat es geahnt, alle sind wegen Wanda da, die längst durch die Decke gingen. Dass ihr zweites Album – das wohl im Oktober kommt – auf einem Major erscheint, war nie so logisch wie hier und heute. Klar, das erste Album ist wegweisend, eine Offenbarung. Ein Offenbarungseid ist auch eine Tour durchs Publikum. Es riecht schon ein bisschen nach Die Toten Hosen und Novarock. Wanda leisten sich sogar einen Linecheck, spielen dabei »My Sharona«.

Die Band ist ja gerade mitten in einem Jahr, das einem Normalsterblichen zehn Jahre genug ist. Shows explodierten, ihr Tourplan hat gefühlt mehr Auftritte als Kalendertage. Aber noch nie war die Halle in Wien so groß, in Stuttgart war es mal eine Elftausenderhalle. Stand zuvor auf dem Schlagzeug noch »Puber«, ist es jetzt »Amore«. Das steht auch auf vielen Jutebeutel. Eh klar, ohne geht’s nicht.

Wenn das Licht dimmt, Menschen übereinander stolpern, flammt etwas auf der Bühne hoch. Marco wird begrüßt wie ein Sonnenkönig, für die nächste gute Stunde ist er es auch. »Luzia«, erste Nummer. Alle können es auswendig, stellenweise müssen sie das auch. Becher fliegen durch die Gegend, Hände und Köpfe auch. »Like a Vir…«, äh, »Kairo Downtown«, Marco zeigt zum ersten Mal seinen Pelvis. Ray tanzt mit seinem Bass als müsste er ohne Hände einen Luftballon weiterreichen. Es geht schon was weiter. Das Call-and-Response-Ding haut gut hin, »Amore« mit beliebig gedehntem »O«. »So san die Leit«, Song Nummer Drei, erscheint tags darauf als B-Side auf der Record-Store-Day-Single und wird wohl nicht auf dem Album sein, ist aber nahtlos ins Set einbaubar. Weil die, die ganz vorne stehen, da schon ewig sein müssen, spendiert Marco ihnen Dosenbier. Und auch wenn »Dass es uns überhaupt gegeben hat« viel schneller gespielt wird als auf der Albumversion, wird kollektiv zusammengerückt und etwas geschmust. Damit auch jeder weiß, dass es euch gegeben hat. »Bleib wo du warst« gibt es auch eine Spur schneller. Dass es sich beim besungenen »Pistolenlauf« um eine besondere Darreichungsform für Shots handelt, muss erst mal jemand beweisen. »Sterben wirst du leider in Wien«, spätestens jetzt sind alle Wanda. Bei »Das wär schön« nicken zwar brav alle Köpfe mit, kennen tun es nur wenige. Schön ist auch das seit geraumer Zeit offene Outfit Marcos, Ohnmachtsanfälle Hilfsausdruck. Bei »Schickt mir die Post« darf das Publikum den Songtitel erraten und weite Strecken selbst singen. Immer wieder: »kein Haus am Land für mich, oje«.

Vor allem ist es aber wieder »Amore«, das die Leute zum vollkommenen Ausflippen animiert. Und wieder »My Sharona«,während Marco Stagediving macht. Übrigens: Beim Stagediving springt einer von der Bühne, beim Crowdsurfen beginnt man von unten seine Reise.

Dann, endlich, Marco Wandas (und mein) Lieblingssong »Meine beiden Schwestern«. Kann nur niemand mitsingen, man schaut sich verwirrt an. Beim Applaus gurrt jemand wie Money Boy. »Jelinek« befriedigt wieder alle, gotta love the Ausprache von »Regal«. »Nimm sie wenn du es brauchst«, schon mehrfach als neuer Albumtrack angekündigt, nimmt auch durch die Refrain-Chöre Tempo raus, ist aber doch typisch Wanda und auch eine Gitarristennummer mit dankbaren Soli. Sie handelt vom Alleinesein in der Großstadt und all den Konsequenzen. Starke Nummer. Mit »Stehengelassene Weinflaschen« wird auch die A-Seite der angesprochenen Record-Store-Day-Single gespielt, die 7“ kriegt man bei der Autogrammstunde im EMI-Store.

Und immer wieder dieses »Amore«. Nein, auch die Band hat noch nicht genug davon. Dann, die Ö3-Single »Auseinandergehen ist schwer«. Alle vier Gasometer explodieren. Alleine schon vom Schall.

Man darf ruhig anzweifeln, dass es bessere Gefühle gibt, als hier und heute »Bologna« zu hören und vor allem zu spielen. Eine Halle flippt aus, Sitzplätze, hinten, Seite, überall. Das kann jeder, dafür sind alle gekommen. Das Solo, ein Traum. Auch die erste Verabschiedung. Verbeugung mit dem Arsch voraus? Hier bitte.

»Ich will Schnaps« fehlt noch. Das einzige Lied auf »Amore«, das etwas entbehrlich ist, gibt es als Zugabe. »Wenn du mich liebst, gib mir Schnaps« ist die nicht ganz so schlaue Version von »Ich kenn noch eine Bar, da kriegen wir die Drinks for free. Wenn du mich jetzt nicht liebst, dann liebst du mich wohl nie«. Aber keine schlechte Idee, »Ich will Schnaps« fast schon auf Jam-Session-Länge auszudehnen, die Spannung rauszunehmen und mit dem vermeintlichen Rausschmeißer »Eins zwei drei vier« wieder voll nach vorne zu gehen. Den Text checkt man beim ersten Mal. Und, dann noch ein Lied, ein Welthit. »Easy Baby« und sein »du und ich für immer«. Aufhören ist wohl echt so 2014. Beweis? Noch einmal »Luzia«. Noch einmal Stagediving für Marco. Dann ist erst mal gut.

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