Ums Ganze

Das Österreichische Filmmuseum feiert 50. Wir schauen hinter die Leinwand des »Unsichtbaren Kinos«, einer ganz einzigartigen, unverzichtbaren Filminstitution.

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Ein Espresso an der Bar des Österreichischen Filmmuseums kostet 1,50 Euro. Er wird im Glas serviert. Stets stehen frische Schnittblumen am Tresen. Anspruch und Haltung des Hauses sind auch in solchen Details spürbar. In der Cinémathèque an der Albertina passieren keine halben Sachen. Weder an der Bar, noch auf der Leinwand oder im Archiv. Nicht jeder der unzähligen akribischen und minutiösen Arbeitsschritte jedoch ist so sichtbar wie der Espresso. Im Foyer warten Besucher auf die Vorführung. Junge und Alte, Studierende, Cineasten, Nostalgiker. Nicht selten bildet sich vor der Kassa eine Schlange.

2,5 Tonnen aus Liechtenstein

Wenn der Film in Originalfassung gezeigt wird, haben viele Kopien bereits einen langen Weg hinter sich. Wer den Anspruch verfolgt, Kino von Welt im Original zu zeigen, braucht ein weltweites Netzwerk befreundeter Archive und Sammlungen. Und eine eigene Sammlung als Kern der Institution. »Jede Schau ist immer auch eine Interpretation der eigenen Sammlung«, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Alejandro Bachmann. Diese spiegelt wiederum die Geschichte des Hauses, auch seiner Akteure.

Hunderttausende filmische Artefakte lagern in einem in die Jahre gekommenen Lager im 19. Bezirk: Original- und Synchronfassungen, Filmbilder, Poster, technische Apparaturen und andere Materialien, die die Veröffentlichung eines Films begleiteten. »Wir haben nicht genügend Geld, zu wenig Personal und kaum mehr Platz, dennoch sammeln wir alles«, gibt Sammlungsleiter Paolo Caneppele die Grundstimmung dort wieder. Das führte bereits zu skurrilen Geschichten. Eine Schenkung aus Liechtenstein wurde begeistert angenommen, um dann doch etwas verdutzt zu schauen, als ein LKW 2,5 Tonnen Druckwerke anlieferte.

Viele der hier lagernden Artefakte stammen aus Schenkungen und Nachlässen. Ab und an passieren auch Ankäufe, häufig Tauschgeschäfte mit anderen Archiven. Besonders stolz ist man auf den Nachlass des sowjetischen Avantgardisten Dziga Vertov, die kürzlich erworbene Bibliothek des jüngst verstorbenen Kurators und Autors Amos Vogel oder den Vorlass Michael Hanekes. Auch einige andere Filmschaffende, Verleihe und Produktionsfirmen deponieren Material in den Kühlräumen. Der überwiegende Bestand sind analoge Materialien. Der Ausstellungsraum ist die Leinwand in der Innenstadt. Deshalb heißt es ja auch Filmmuseum.

Kontrolle ist besser

Jeder der gezeigten Filme landet zuerst im Archiv. In der Kopienkontrolle werden 35mm-Hollywood-Filme ebenso wie rare 9.5mm-Amateurfilme vor und nach der Vorführung gesichtet und begutachtet. Bereits bei der Vorstellung ist neben dem Vorführer ein Saalregisseur anwesend, der nicht nur den Ton regelt, sondern Auffälligkeiten notiert. Was wie der Luxus einiger Nostalgiker anmutet, ist nichts anderes, als Film und Kino in ihren spezifischen Eigenschaften ernst zu nehmen. Damit verbunden ist auch eine kulturelle und letztlich politische Haltung. Während gegenwärtig viel Geld in Digitalisierung gesteckt wird, ist der Erhalt des Originals längst keine Selbstverständlichkeit. Ein fataler Trugschluss, wie Roland Fischer-Briand von der Fotosammlung eindrucksvoll zeigt.

Aus einem der unzähligen Apotheker-Schränke zieht er das Konvolut des Filmklassikers »Metropolis«. Bilder, die – von der Patina und der Aura des Originals mal abgesehen – viele Suchmaschinen so oder ähnlich auch finden würden. Einzig, im Österreichischen Filmmuseum geht es nicht um Ähnlichkeit, sondern um Tatsachen und Exaktheit. Und auch auf die Rückseite geschichtlicher Dokumente lässt sich mit Google nicht blicken. Dort befinden sich im konkreten Fall nämlich Aquarellpausen der Vorderseite. Hält man die Filmbilder gegen das Licht, werden aus Schwarz-Weiß-Fotografien Farbbilder.

Selbstverständlich verfügt nicht jeder Sammlungsgegenstand über solche eindrucksvollen Schauwerte, umgekehrt aber ist nie klar, welchen Artefakten später einmal Bedeutung zukommen wird. Immer wieder kommen Studierende, Wissenschafter, Enthusiasten ins Archiv. Eine Online-Datenbank gibt vorab einen Überblick über einen Teil des Bestands. Das Archiv ist dabei zwar eine Schatzkammer, aber keine, die hermetisch abgeriegelt ist. Geschaut und geforscht wird mit dem Auge, dennoch lädt Paolo Caneppele Studierende dazu ein, das Archiv zu nutzen. Etwa, um sich durch das noch unerforschte Material zu wühlen, das in einem Raum in dutzenden Bananenschachteln lagert.

Alles Licht dem Projektor

Das Österreichische Filmmuseum will Film ans Publikum bringen. Peter Kubelka, gemeinsam mit Peter Kronlechner Gründer des Hauses, war es, der dafür die bestmögliche Kinosituation schaffen wollte. Ein Kino, das den Raum des Vorführsaals in der Schwärze verschwinden lässt und den Blick des Besuchers ausschließlich auf die ausgestellten Filme richtet. Ein Luxus angesichts der alltäglichen Dauerbebilderung, der das Filmmuseum zu einer Schule des Sehens macht. Das Lichtmonopol des mittlerweile dritten »Unsichtbaren Kinos« ist dem Projektor vorbehalten. Störungen wie leuchtende Displays sind nicht nur seitens des Hauses unerwünscht. Mitunter werden auch die Gäste initiativ, um in den ungestörten Filmgenuss zu kommen.

Aber nicht immer fällt der abendliche Kinobesuch so hochtrabend und bildungsbürgerlich aus. Es ist das unmittelbare Filmerlebnis, das begeistert. Brigitte Bardot in einer Villa auf Capri, Bonnie Prince Billy durch amerikanische Wälder stapfend, flimmerndes und pulsierendes Videomaterial zu einem Song der Wiener Band Broken Heart Collector. Film in allen Erscheinungsformen, das interessiert das Österreichische Filmmuseum. Wenn auch mit Schwerpunkten.

Curatorship und Gin

Viele der Besucher kehren nach der Vorstellung in die Filmbar zurück. Ergänzend zum »Unsichtbaren Kino« hat die Wiener Architektin Gabu Heindl einen Übergangsbereich zwischen dem Kino und der Stadt geschaffen. Und auch hier blitzt die Arbeit des Archivs auf. An der Wand hängt das Plakat der jeweiligen Filmschau. Die unverkennbare Grafik des Hauses vor einem markanten Filmstill, das im Idealfall den Charakter der Schau in einem Bild verdichtet. Manche Gäste schmökern in den Programmheften mit den legendär enthusiastischen Texten.

Besonders bemerkenswert ist auch, mit welcher Präzision im Büro in der Innenstadt jeder Credit und Originaltitel recherchiert wird. Das betrifft auch die hauseigene Buchreihe, die in einer Vitrine aufgestellt wird. »Film Curatorship« heißt ein Titel, in dem der Direktor des Hauses – Alexander Horwath – einen zentralen Begriff des Filmmuseums zur Diskussion stellt. Dabei beschränkt sich Kuratieren absichtlich nicht darauf, Programme im Setzkastenprinzip zusammen zu bauen. Curatorship soll Inhalte, ihr Trägermaterial und ihre Umwelt ernst nehmen. Film wirft so immer auch Fragen nach der Programmierung, Sammlung, Forschung und Vermittlung auf. Film als Ganzes.

Dabei ist nicht allen zu später Stunde nach Diskurs und Halbwissen zumute. Manche genießen auch nur das Barsortiment für den Spätabend. Grappa, Gin mit Gurke, Rotwein, vielleicht ein gefülltes Schurgebäck. Selbstverständlich von bester Qualität. Wie fast alles im Österreichischen Filmmuseum, das dieser Tage sein 50-jähriges Bestehen feiert.

Bild(er) © Lukas Maul
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