Street-Artist ROA im Interview

Seit kurzem ist die Ausstellung des Street Art-Künstlers ROA in der Galerie Inoperable eröffnet. Anna Moldenhauer hat sich mit ROA unterhalten.

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Die ungewöhnliche Perspektive, welche den Blick in das Innere der dargestellten Tiere freigibt, können Besucher dort interaktiv entdecken: Einblicke in das Skelett oder Blutsystem der Tiere lassen sich mit Hilfe von flexiblen Rollos und Klappmechanismen hervorholen und wieder verstecken. Seine durch einem Mix aus Sprayen und Malerei gefertigten Tiere erobern derweil Wien: Neben einer wandfüllenden Arbeit in der Nähe der Galerie Inoperable bemalte der belgische Künstler diverse Naschmarkt-Stände. Zudem wird er im Rahmen seiner Residency im Quartier 21 die Fläche auf dem Liftturm der Street Art Passage Vienna neu gestalten. Tipp: Die limitierte Edition seines ersten Buches "ROA: An Introduction To Animal Representation", welches viele Werkbeispiele enthält, ist in der Galerie Inoperable erhältlich.

Hast du ein Lieblingstier?

Nicht wirklich, jedes Land ist anders und so ist es auch mit den Tieren dort. Ich mag die Vielfalt der Tiere, die Unterschiede. Ich kann Gürteltiere gut leiden, ich denke sie unterscheiden sich sehr von anderen Tieren. Sie sind in ihrer Art einzigartig.

Warum kreierst du überwiegend Tiere, die eher unbeliebt sind, wie

Ratten, Hasen oder Tauben?

Schwer zu sagen, warum etwas so ist wie es ist und warum nicht. Es ist eher einer Kombination aus Dingen. Wenn ich reise, will ich ein authentisches Bild der Tiere abbilden, die es dort gibt, wo ich bin. Die Tiere, die eine Bedeutung für den jeweiligen Ort haben. Und offensichtlich sind die meisten Tiere, die man in den Städten sieht, Ratten und Tauben, weil sie sich am besten an die Menschen angepasst haben. In gewisser Weise bin ich sehr fasziniert davon. Dazu ist es interessant, dass die Tiere, die die meisten als schmutzig betrachten, die Einzigen sind, die man dort sieht wo Menschen leben.

Du stellt die Tiere oft tot oder halb verwest dar. Warum so morbid?

Ich würde das nicht wirklich morbid nennen, aber ich bin fasziniert von dem Kreis des Lebens. Ich denke das Leben ist genauso Teil des Todes wie der Tod Teil des Lebens ist. Es ist wie das Einzige, was wir wirklich wissen. Wenn du geboren wirst, ist das Einzige was sicher ist, dass du sterben wirst. Vor allem in unserer Kultur haben wir ein Problem mit dem Tod und alledem. Es ist interessant damit zu arbeiten und zu sehen, wie aus etwas toten Neues entsteht, Dinge wieder beginnen.

Kann man deine Arbeiten also wie ein Memento Mori verstehen?

In einer Art, aber auf der anderen Seite sind es auch Stillleben oder Studien. Sie stellen eine Menge verschiedener Dinge dar. Es ist interessant, an den Wänden der Städte Bilder anzufertigen, da diese so starke Reaktionen auslösen. Ich finde es faszinierend, das Bilder so machtvoll in bestimmten Momenten sein können. Dazu kommt die Architektur der Städte, das Aussehen der verschiedenen Spezies und deren unterschiedliche Anatomie. Da gibt es eine Menge, was man damit aussagen kann.

Oft fertigst du verschiedene Perspektiven deiner Tiere an, z.B. einen Hasen, bei dem man je nach Blickwinkel das Skelett oder die Organe sehen kann. Steckt da auch der Gedanke an den Kreis des Lebens dahinter?

In einer Art, aber was ich mache ist ähnlich einer biologische Studie. Es geht geradezu zurück zu Leuten wie Darwin, die reisten um die Einzelheiten an den fremden Orten zu entdecken, zu studieren, zu zeichnen und diese Spezies in die "normale Welt" zu bringen. Ein wenig ist es das, was ich mache. Ich reise durch die Welt, sehe verschiedene Orte, die Lebewesen dort und male sie an die Wände. Es ist auch die Beschäftigung damit, wie die Tiere miteinander kommunizieren und welche man vor Ort antrifft. Auf den Reisen sieht man irgendwie oft das gleiche und nicht viele Spezies sind noch übrig. Da ist es manchmal wichtig, ein Tier auf einer Wand zu zeigen, als in einem kleinen Format. Indem ich das Tier auf die Wand male, möchte ich dem Tier Anerkennung zollen.

Langweilen dich die gleichen Motive nicht irgendwann?

Ich weiß es nicht. Ich denke nicht, dass es spannender wäre Menschen zu malen, die ja auch Tiere sind. An einem Punkt habe ich den Flow in dem was ich mache gefunden und bin immer noch interessiert daran, oder sogar begeisterter als am Anfang. Es ist wichtig, dass ich mag was ich tue. Ich versuche daher nur Dinge zu machen, die mich interessieren und das führt mich hoffentlich zu neuen Inspirationen.

Andere Künstler und Kreative wie David Lynch haben dich in deiner Arbeit beeinflusst. Gibt es jemand, der dich aktuell inspiriert?

Das ist schwer zu beantworten, weil es so viele verschiedene Dinge und Künstler auf der Welt gibt, die mich inspirieren. Ich bin ins Naturhistorische Museum in Wien gegangen, und das war toll und inspirierend. Aber wenn man über "Muralism" redet, dann sollte man JAZ aus Argentinien abchecken.

Wie siehst du die Arbeit von anderen großen Street-Artists wie Banksy, JR oder Vhils? Gibt es da Parallelen zu deiner Arbeit?

Wahrscheinlich schon, weil wir alle im öffentlichen Raum arbeiten. Aber die haben alle ihren eigenen Stil und ihre Herangehensweise.

Inspiriert ihre Arbeit dich?

Ich denke alles ist Inspiration. Ich beobachte die urbane Kunst aber nicht so sehr. Ich schaue manchmal ein wenig was gerade passiert, aber ich blogge z.B. nicht. Natürlich macht Banksy einen verrückten Job und ist eine Art Ikone in der Szene geworden, er ist wie der Michael Jackson der zeitgenössischen, urbanen Kunst oder so ähnlich. Das heißt nicht, dass seine Arbeit nicht großartig ist. Was er anfertigt und wie er arbeitet, war sicher für vieles was danach in den Straßen passiert ist, eine Inspiration. Ich habe großen Respekt davor.

Dennoch faszinieren mich Leute, die freihändig Wände bemalen. Wenn ich riesige Wandbemalungen sehe, vor allem wenn sie sich von anderen unterscheiden, finde ich das großartig. Banksy hat sich an dem Punkt, wo er begonnen hat – bevor ihn alle kopiert haben – sehr von den bisherigen Arbeiten abgehoben. Deshalb ist er ein großartiger Künstler. Das ist so bei allem großen Künstlern, wie auch bei JR, der einen tollen Job macht. Er schafft beeindruckende Dinge und lebt wirklich für das was er tut. Und niemand anders hat das in dieser Art und Weise vor ihm gemacht. Ich mag Leute, auch wie BLU, die große Wände bemalen, groß denken. Und bei dem was sie machen, versuchen sie selbst zu bleiben.

Du stellst auch in Galerien aus. Wie trennst du das von deiner Arbeit in den Straßen?

Ich finde nicht, dass man das trennen muss. Vielleicht, weil das eine drinnen und das andere draußen stattfindet. Aber das ist die ganze Sache mit der Diskussion um die Street Art. Was bedeutet Street Art? Wenn der Künstler in den Straßen arbeitet? Wahrscheinlich. Aber wenn der Künstler auf dem Dach arbeitet, ist es dann Roof Art? Und wenn er in einer Fabrik arbeitet, Factory Art? Und in der Galerie ist es dann Gallery Art. Nein, offensichtlich nicht. Es geht eher darum, ob es schlecht ist und keine Kunst, oder ob es gut ist und du als Person es als Kunst sehen kannst. Alles andere verstärkt nur, dass wir Dinge voneinander trennen wollen, wie Rassen, Länder oder Grenzen. Das liegt in der menschlichen Natur. Daher ist es nicht erstaunlich, dass jemand diese Schwachsinns-Bestimmungen für die Street-Art erfunden hat. Aber was bringt das?

Du siehst da also keinen Widerspruch zur Grundidee der Street Art?

Auf eine Art denke ich, dass Dinge in den Straßen so gut funktionieren, weil sie eben in den Straßen sind. Die Kunst, die Kreativität oder der Ausdruck sind in den Straßen eine total andere Sache, weil Leute durch diese laufen ohne zu denken "oh, ich schaue mir jetzt etwas Kulturelles an". Sie erwarten gar nichts, sehen etwas und verstehen es vielleicht nicht. Sie werden davon angezogen, fragen sich selbst ob das für eine Marke ist, nein ist es nicht. Das ist eine großartige, wunderschöne Sache, und jeder kann es herbeiführen. Ich finde es toll, wenn die Leute sich beeindrucken lassen, vor allem in einer öffentlichen Umgebung.

Und ich denke, in dieser Art und Weise ist das etwas Besonderes. Wenn jemand interessante Arbeiten in den Straßen anfertigt, liebe ich das. Wenn es weniger interessante Sachen sind, ist es vielleicht trotzdem cool oder lustig zu sehen, eben weil es in den Straßen ist. Aber wenn du etwas von diesen weniger interessanten Dingen in eine Galerie stellst, dann stirbt dieselbe Sache auf der Stelle. Weil es nur funktioniert, wenn es in den Straßen ist. Ich denke, wenn du als Künstler oder kreative Person etwas machst, weil du das Gefühl hast, dass es das wert ist, und es ist gut, dann ist es egal wo es gezeigt wird. Die Ausstellung in einer Galerie kann die eigene Kreativität zu erweitern. Auf einer anderen Ebene kann es auch dazu beitragen, sein Leben als Kreativer führen zu können.

Es spielt keine Rolle wo, du kannst gute Werke überall anfertigen, egal ob in einer Galerie oder woanders. Wenn es gut ist, ist es gut, wenn nicht dann nicht. Vielleicht brauchen Menschen eine sichere Einteilung, um sagen zu können was Kunst ist und was nicht. Aber das ist nicht wichtig. Es es wichtiger, wofür du dich selbst interessierst. Auf eine Art denke ich zeitgenössische Kunst, Street-Art, Graffiti, ist ein Stück weit aufregender als alles andere, was nur in einer Galerie ausgestellt wird, um es zu verkaufen.

Du hast bereits in vielen Städten Wände bemalt. Wo hast du die besten Bedingungen für deine Arbeit gefunden?

Den besten Trip in letzter Zeit hatte ich, als ich nach Gambia gereist bin. Aber das ist auch so eine Sache, es ist immer nur ein Moment aus der Kombination der Leute, die du triffst, den Dinge die du siehst, wo du hingehst und was da passiert. Du kannst das nicht zurückholen. Wenn du wieder in die gleiche Stadt kommst, kann es passieren das du eine fürchterliche Zeit hast.

Gibt es denn eine Stadt, in der du gerne eine Wand gestalten würdest?

Ich möchte nächstes Jahr mehr nach Südamerika. Ich liebe es die großen Wände in Brasilien, São Paulo, zu gestalten.

Ist das dein nächstes Ziel, oder hast du noch andere Pläne?

Nach Wien werde ich für eine kurze Zeit nach New York gehen und danach länger nach Australien. Von Austria to Australia quasi.

Wirst du durch Australien reisen?

Ja, ich habe dort einige Projekte, wo ich Wände bemalen werde. Auch eine Show, die dann meine letzte in diesem Jahr sein wird. Ich will definitiv reisen und zufällig Platze finden, die ich gestalten kann. Ich möchte das Land, die Natur und die Kultur wirklich kennenzulernen.

Brauchst du das Reisen und den Stress?

Ich mag es zu reisen und wenn Dinge sich verändern, weil ich sehr schlecht mit Routine klarkomme. Wenn ich reise ist alles verschieden, weil du immer an einen Platz bist, den du noch nie gesehen hast, nicht weißt was du erwarten kannst. In einer Art lebst du dann richtig. Es gibt nicht die Grenzen deines Zuhauses oder den Ballast von bestimmten Dingen. Da bist nur du, deine Suche und die Dinge mit denen du jeweils klarkommen musst. Ich liebe das. Es ist das gleiche wie eine Wand bemalen, das Suchen nach Material, die begrenzte Zeit, die Möglichkeiten auszutesten und die Ideen mit all dem zu kombinieren. Das ist meine Art zu arbeiten. Ich fertige keine Arbeiten an, wenn ich keine Show habe. Ich habe einen Zeitraum und nutze ihn. Die Kombination aus Zeit, Material, neuer Situation und den Impulsen die du hast. Das macht es für mich interessant und arbeitet in einer Art und Weise auch für mich selbst.

Wie gehst du damit um, dass deine Arbeiten so vergänglich sind? Gehört das auch zur Idee des Lebenskreises?

Das passt, auf jeden Fall. Es ist Teil dessen. Ich habe nie besonders viele Dinge zu Hause angefertigt, male aber schon sehr lange. Das ist eine großartige Sache, du malst etwas, du steckst deine ganze Leistung und Energie rein und dann gehst du. Die Bilder stapeln sich nicht, du musst dich nicht darüber ärgern oder einen Grund haben. Da gibt es keinen Grund. Du findest eine Wand, bemalst sie und gehst wieder. Gut, du hast ein Foto davon und die Erinnerung in deinen Kopf. Was auch interessant ist, weil jedes Stück so seine eigene Geschichte hat. Aber du gehst, und das ist das beste Gefühl. Manchmal besteht deine Arbeit für einige Zeit, manchmal nicht. Ich würde nicht sagen, dass ich es mag, wenn meine Bilder verschwinden. Aber sobald ich es fertiggestellt habe, ist es nicht mehr meines. Es ist fast wie ein Exorzismus. Die Idee, die durch deinen Kopf wandert und dann malst du sie an die Wand und lässt sie zurück. Dann ist es vorbei und du kannst zur nächsten Idee übergehen. Wenn man seine Ideen nicht verwirklicht, bleiben sie und verfolgen dich. Und man kann keine neuen entwickeln, weil die alten erst noch umgesetzt werden wollen.

Was bedeutet dein Name ROA?

Im Grunde sind es nur drei Buchstaben. Es bedeutet gar nichts, sie sind quasi ein Überbleibsel von einem "Tag" vor langer Zeit. Ich habe das wiederverwendet und plötzlich kannten mich die Leute unter diesem Namen.

Roa – Decomposition

26. August – 29. Oktober

Inoperable Gallery

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