So ähnlich wie Vollkorn

Muss man erstmal verdauen, stimuliert dann aber bleibend. Leonhard Lass und Gregor Ladenhauf (Ogris Debris, Zanshin) im Interview über ihre audiovisuelle Installation "Rebus Cumulations", die gerade für das Soundcloud-Headquarter in Berlin entstanden ist.

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Soundcloud wird sieben. Was zum Austausch von Tracks unter Musikschaffenden begann, tat in den sieben Jahren seines Bestehens einen nicht unwesentlichen Teil dazu, wie viele Menschen heute Musik konsumieren. Stichwort: weg vom Album – hin zum Einzeltrack.

Einmal auf den Playbutton geklickt, eröffnet sich eine Welt nicht enden wollender musikalischer Bandbreite. Vom Schlafzimmerproduzenten zum Major Act. Und es muss nicht einmal bei Musik bleiben. Alles, was Sound ist, kann in die Wolke geladen werden.

Soundcloud, herrlich benutzerfreundlich, herrlich einfach. So scheint es zumindest. Die Datenmengen, die sich im Wölkchen befinden, sind schwer vorstellbar, die Hintergrundprozesse schwer zu erahnen und noch schwerer zu visualisieren. Musik-Produzenten raunzen zudem regelmäßig über Downtimes, schludrige Updates oder gesperrte Tracks. Das weiß wohl niemand besser als Eric Wahlforss, einer der Gründer und CTO von Soundcloud. Dennoch gab er den Künstlern von depart den Auftrag, eine permanente Installation für die Lobby des Headquarters in Berlin zu gestalten, die ebendiese Daten miteinbezieht.

Rebus Cumulations

Depart – Leonhard Lass und Gregor Ladenhauf – entschieden sich dazu, unter anderem vordergründig die Tendezen zu visualisieren, die sich aus dem Verhältnis der Uploads und der Plays ergeben. Wenn zum Beispiel Plays und Uploads gleichzeitig steigen, ergibt sich die Tendenz "Cumulating". Fünf dieser Tendezen gibt es insgesamt und jede von ihnen ist assoziativ mit eigens dazu hergestelltem Bild- und Textmaterial verknüpft, das in Echtzeit ausgespielt wird. Drei Screens hängen dazu in der Lobby. Ein Triptychon. Sound gibt es dazu natürlich auch noch.

"Rebus Cumulations" ist also – gelinde gesagt – ein bisschen komplexer als auf einen Playbutton zu klicken. Der Eingeweihte kann aus dem Bildmaterial ablesen, wie sich die Plays gerade zu den Uploads verhalten, der Besucher steht davor und staunt. Wir haben mit den Machern darüber geredet, warum das denn so kompliziert sein muss, wie es mit der Seelenverwandtschaft mit Björk aussieht und was der Kunstmarkt eigentlich davon versteht. Außerdem hat uns Gregor Ladenhauf berichtet, wie es um seine beiden musikalischen Projekte Ogris Debris und Zanshin gerade bestellt ist.

Treibt es euch die Tränen in die Augen, wenn jemand zur Installation bei Soundcloud "Datenvisualisierung" sagt?

Gregor: Reine Datenvisualisierung wäre uns einfach zu langweilig. Besucher können sich entweder kurz davon beeindrucken lassen oder eintauchen und Details entdecken, bzw. sich mehrere Durchgänge ansehen und die Entwicklung beobachten. Die Installation ist also gleichzeitig kurzweilig und nachhaltig und wertet blanke Daten auf, macht sie noch interessanter. Es ist funktionales, surreales Multimedia mit Tiefgang und vielen Ebenen und vor allem einer von uns gewählten, uns eigenen Ästhetik. Für uns steht "Rebus Cumulations" vor allem für den Akt der Kreativität.

Leo: Datenvisualisierung an sich ist für mich ein neutraler Begriff und in gewissen Aspekten Teil vieler Depart-Projekte. Für mich ist aber im künstlerischen Kontext eine Datenvisualisierung als Informationsdesign genauso unbefriedigend, wie eine komplett abstrakte "Data-Beautification".

Den Soundcloud Datenstrom analysieren wir auf fundamentale Eigenschaften wie dem Verhältns von aktiven und passiven Elementen, Tendenzen von Auflösung, Verdichtung, etc. Darüber konstruieren wir eine Sprache, die für beide Welten gilt und diese verbindet.

Firmen und Manager schmücken ihre Lobbies und Büros aus Repräsentationsgründen gern mit Kunst, "Rebus Cumulations" hat einen anderen Anspruch als bloß einen Arbeitsplatz aufzuhübschen, oder?

Gregor: Ja, Eric Wahlforss hat uns genau deswegen auch damit beauftragt. Leo hat ja bereits mit Marcel Schobel für das musikalische Alter Ego von Eric, "Forss", eine App entwickelt, bei der der Sound von Eric stammte…

…und er hat euch eine "Carte Blanche" gegeben, mit der einzigen Bedingung, dass Soundcloud-Daten verwendet werden müssen.

Gregor: Wir haben schon im Vorfeld einige Konzepte diskutiert, aber es gab einen großen Vertrauensvorschuß, was großartig war, denn so konnten wir uns voll entfalten. Einzig die Soundebene war von vornherein etwas eingeschränkt, weil sie in dem Bewusstsein gestaltet wurde, dass dort ständig jemand daneben am Frontdesk arbeitet und eine zu aufdringliche Soundgestaltung kontraproduktiv wäre.

Was die Bildebene betrifft, haben wir viele für uns visuell spannende Gegenstände gesammelt und genauso wie beim Musikmachen – wo Bezüge zwischen Elementen hergestellt werden – versucht Ensembles zu bauen, die spannend und ästhetisch sind, dabei aber einen Raum aufmachen. Und so wie ein Musiker am Computer aus einer Menge von Samples schöpft und diese neu zusammenstellt, steht bei uns eine Mausefalle neben einer Spitzpaprika, weil wir die Kombination visuell spannend finden. 60 verschiedene Stillleben zu bauen ist auf jeden Fall eine anstrengende, aber auch extrem lustige Angelegenheit und viel, viel Millimeterarbeit.

Leo: Mich interessiert dabei vor allem wie durch Inszenierung Alltagsobjekte, die wir am Flohmarkt, im Bauhaus oder Spielzeugladen gefunden haben, eine magische Dimension bekommen.

Betrachtet man klassische Stillleben, so erscheinen diese oft wie Bildrätsel mit versteckten Hinweisen oder moralischen Aussagen. Diese symbolische und sprachliche Komponente haben wir bei Rebus Cumulations intensiv bearbeitet. Alle Objekte wurden von uns akribisch in einer Datenbank mit Assoziationsketten erfasst, welche die Basis für generierte Texte bildet, die sich der Bildwelt überlagern.

Gleichzeitig ist und der surreale Charakter sehr wichtig. Nur das Unerklärbare regt uns an, attackiert unsere Sinne und unseren Verstand von allen Seiten und inspiriert uns.

Auch wenn Datenvisualisierung nicht der (einzige) Anspruch von "Rebus Cumulations" ist, habt ihr in die Richtung "Datenkunst" recherchiert? Habt ihr davor schon einmal in diesem Feld gearbeitet?

Leo: Beinahe alle unsere gemeinsamen Arbeiten tragen im Kern eine Art Uhrwerk, ein System, das die oft sehr verschiedenen Einzelelemente zusammenhält, ihnen einen neuen Kontext gibt und in eine Dramaturgie einbettet. Dieses System wird programmiert und basiert daher auf Daten und ihrer Transformation – deshalb würde ich sagen, dass wir sogar ständig in diesem Feld arbeiten, es aber in unsere eigene poetische Sprache integriert haben.

Wissenschaft und Poesie beschäftigen sich beide mit universellen Wahrheiten, sie sollten sowieso mehr gemeinsam abhängen!

Wenn ich mir andere eurer Arbeiten ansehe – gerade House of Drift –, erinnern sie mich ein bisschen an Björk. Die Kostüme, das Theatralische, der Kollaborationsgedanke, "Biophilia" als interaktives Album zu machen, das ganze Artwork von Biophilia überhaupt. Könnt ihr mit diesem Vergleich etwas anfangen?

Gregor: Lustig, dass du das ansprichst, weil: Björk ist mit Sicherheit eine Seelenverwandte, weil sie sich genauso gern im Digitalen bedient wie im Archaischen. Auch Matthew Barney war uns immer extrem sympathisch – wir verwenden ebenso sehr viele Referenzen auf Mythologisches. Gerade die griechische Mythologie bietet einfach einen wunderbaren Nährboden für die Reflexion menschlichen Daseins.

Begriffe wie "Rheology" oder "Serendipity" häufen sich auf eurer Website. Machen diese "schönen Begriffe" die eigentlichen Dinge nicht viel komplizierter und unzugänglicher, als sie eigentlich sind?

Gregor: Die schönen Begriffe haben uns (bzw. mich zumindest) immer schon neugierig gemacht auf das Dahinter und sie tragen meist weit mehr mit sich (nämlich auch etymologisch) als ihre einfache Übersetzung. Ich verstehe schon was du meinst, aber zu dem ewigen Vorwurf, dass Fremdwörter gestelzt sind und aufwerten sollen was eigentlich keinen Wert hat, muss ich sagen: Wir verwenden diese Wörter weil sie einfach schöner klingen und auch mehr transportieren und weil uns Sprache an sich inspiriert, nicht weil wir damit aufwerten wollen. Es ist mit Sicherheit oft auch kontraproduktiv, weil nicht simpel und einfach wie ein Werbeslogan, aber sicher niemals zwingend elitär. Ich meine, darf Kunst nicht philologisch sein?

Leo: Genau! Es geht keinesfalls um besserwisserisches Posing. Wir suchen nach unabgenutzten Wörtern, weil diese zwar vielleicht etwas schwerer verdaut werden, aber eine komplexere und nachhaltigere Stimulation bieten. So ähnlich wie Vollkorn.

Empfinde ich das richtig, dass ihr doch viele Auftragsarbeiten macht? Wie lange hat es seit der depart-Gründung gedauert, dass sich die Projekte auch finanziell lohnen?

Gregor: Die ersten Arbeiten sind klarerweise just for the fun of it entstanden. Es hat sich dann über die Zeit so entwickelt, dass wir immer Arbeiten in gewissen Kontexten erstellt haben. "Commissioned" nennt sich das dann halt. Der finanzielle Aufwand der Projekte ist steigend, wenn auch die Kurve sehr flach verläuft, aber wir sind einfach auch absolute Flaschen, was Marketing betrifft.

Es liegt aber mir Sicherheit auch daran, dass es im klassischen Kunstmarkt kaum Verständnis bzw. etablierte Wege für audiovisuelle Installationen gibt, da diese meist sehr technikgeladen und ortsgebunden sind und der Kanon, aus dem auszubrechen oder in den es sich einzuordnen gilt, gerade erst entsteht. Aber es bewegt sich etwas. Durch Festivals wie sound:frame, wo wir 2013 eine große installative, kollaborative Experience im MAK gestalten durften, bekommt unsere Arbeit eine andere Aufmerksamkeit; wir werden aber dennoch immer noch oft fälschlicherweise als "Visualisten" oder "Postproduction-Team" bezeichnet, Multimedia-Künstler würde es viel besser treffen, klingt aber so nach 2000, dass es kaum jemand verwendet.

Wie viel deiner Zeit, Gregor, geht an depart, wie viel an Ogris Debris, wie viel an Zanshin? Gibt es neben diesen drei Großprojekten noch etwas, bei dem du beteiligt bist?

Also das sind meine drei Standbeine. Ich bin also wie ein Hocker, nur eben kein Stubenhocker. Zwei Kollaborationen und eine Ego-Spinnerei.Wie viel Zeit kann ich wirklich nicht sagen, das variiert von Jahr zu Jahr, von Projekt zu Projekt.

Sowohl Ogris Debris als auch Zanshin hatten ja bereits ziemlich viel musikalischen Output. Von Ogris Debris kommt bald ein neues Album, wie sieht es bei Zanshin aus?

Zanshin hat seit dem letzten Release schon wieder einen Haufen Skizzen angesammelt, einige davon habe ich schon letztes Jahr beim Popfest live gespielt, da werde ich jetzt in nächster Zeit auch viel dran feilen, damit die schnell fertig werden. Ist schon wieder viel zu lang her, die letzte EP. Momentan habe ich gerade einen Remix für Fontarrian in der Reissn und Vocals für einen Track des nächsten A.G.Trio-Albums eingesungen.

Du spielst am 11.7 auf der Biorama Fair Fair – findest du dich hier inhaltlich wieder?

Ich bin schon jemand, der den Wert von hochwertiger Nahrung erkennt, ich koche ja auch selbst gern und ich bin auch Idealist, insofern ist mir das sehr wohl ein Anliegen, dass Lebensmittel fair produziert werden.

Als depart arbeiten wir gerade zusammen mit der Grazer Abteilung von EEM (=energy efficient music), ein EU-Projekt, wo es um Energieeffizienz im Kontext von Festivals und Clubs geht. Wir sollen hier eine interaktive audiovisuelle Installation erarbeiten, die die Inhalte auch spielerisch ein bisschen zugänglicher macht.

Für weitere Informationen zu den Arbeiten von depart hier entlang. Eric Wahlforss, den Gründer von Soundcloud, haben wir vor langer Zeit übrigens auch . Gregor Ladenhauf gibt sich am 11.7, 19.00 als Zanshin bei der Fair Fair .

Und wenn ihr schonmal bei der Fair Fair seid, empfehlen wir den Talk "Green Festivals" am 13.7 um 15.00: Ein Festival umweltverträglich zu machen, stellt die Organisatoren vor so manche Herausforderung: angefangen bei der Frage nach ökologischen Drucksorten, über umweltfreundliche Anreise, Mehrwegbecher und Mülltrennung vor Ort, bis hin zur Verpflegung. Thomas Weber (Biorama) diskutiert mit Thomas Heher (Waves Vienna), Sebastian Theissing (Partycipation) und Christian Platterer (Ökologie Institut).

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