Kein Big Brother für Kunststudenten

40 Schauspieler werden für "Cellar Door" ihren Wohnsitz quasi ins komplett umgebaute Schauspielhaus verlegen. 21 Tage lang. Man kann sie besuchen, oder sie von zu Hause aus steuern. Das ist alles ziemlich abgefahren. Thomas Bo Nilsson, der Regisseur, hat uns ein paar Fragen beantwortet.

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Menschen, die in einem geschlossenen Raum wohnen. Überall sind Kameras. Rund um die Uhr kann man von zu Hause aus zuschauen. Sie spielen Rollen. Aufgaben müssen erfüllt, Regeln eingehalten werden. Das Publikum kann interagieren. Was sich auf den ersten Blick ein bisschen nach Big Brother anhört, ist in Wirklichkeit viel mehr als das. Es ist ein Projekt des renommierten schwedischen Bühnenbildners und Installationskünstlers Thomas Bo Nilsson, dass dieser Tage im Wiener Schauspielhaus anläuft. Wir haben mit ihm über die Idee für Cellar Door geredet und darüber, wie diese Idee in der Praxis dann genau aussehen wird.

Auf der Website des Schauspielhaus heißt es zu Cellar Door: "Eine 504-Stunden-Installation". Es gibt aber sehr viele Elemente aus dem Theaterbereich. Wie würdest du das Projekt bezeichnen?

Cellar Door ist ein dreiteiliges Projekt. Die Teile wurden als Einzelstücke konzipiert, wenn man sie jedoch vereinigt, bekommt man ein tieferes Verständnis der Geschichte und der Charaktere rund um Cellar Door. Man kann als Live-Publikum oder, von zu Hause aus, als Online-Publikum an dem Projekt teilnehmen.

Der erste dieser drei Teile ist der Film "Cellar Door", der letzten Winter gedreht wurde. Der Kurzfilm zeigt die Vergangenheit und die Jugend der Charaktere und die Anfänge des Spiels, dass in der Installation gespielt wird.

Mit dem Stück im Schauspielhaus läuft jetzt gerade der zweite Teil an. Hierfür haben wir mehr oder weniger das gesamte Innere des Schauspielhauses in ein labyrinthartiges Tunnelsystem verwandelt und so anonyme Fragmente einer Kleinstadt erschaffen.

Während der gesamten Dauer der Installation im Schauspielhaus läuft der dritte, der virtuelle Teil von Cellar Door. Wir haben eine Webplattform erstellt um Interaktionen mit den Bewohnern auch aus der Distanz zu ermöglichen und die Tentakel etwas in die dunkleren Gebiete des Internets vorzustrecken.

Es gibt einen Kurzfilm, der die Vorgeschichte zu dem Stück bildet. Ist man, wenn man durch die "Cellar Door" geht, eher im Haus aus dem Kurzfilm, oder geht man dann durchs ganze Dorf?

Der Film wurde in einem Haus außerhalb Berlins gedreht. Dieses Haus wurde als Teil des Dorfes teilweise nachgebaut. Man betritt die Spielstätte zwar nicht durch das Haus, aber man kann dessen Überreste besuchen und somit die Location des Films. Es gibt mehrere Arten die Installation zu betreten. Welchen man nehmen kann, hängt davon ab, wann und wie man als Besucher vorbeikommt. Wir öffnen verschiedene Teile des Dorfes zu verschiedenen Zeiten.

Wenn man sich die Beschreibung des Stücks durchliest, dann hört sich das ziemlich "Laissez-Faire" an. Es gibt aber ein Drehbuch. Was steht denn da drinnen?

Viel wichtiger ist, was da nicht drinnen steht. Das ist zum Beispiel welche Konversationen und Kommentare die Online-User auf der Webplattform hinterlassen werden. Wir wissen nicht, was anonyme User zum Beispiel von unseren Charakteren verlangen werden und wie sie mit uns interagieren werden.

Der Tag der Schauspieler wird in sechs Etappen, sogenannte Levels, eingeteilt. Wiederholt sich die Geschichte jeden Tag, oder gibt es eine Handlung, die sich durch die 21 Tage durchzieht?

Ja und nein. Jedes Level hat ein individuelles Set an Regeln, die sich immer wiederholen. Die Entwicklung der Charaktere und des Handlungsstranges schreitet während der ganzen Dauer des Stücks voran. Das bedeutet natürlich, dass nie zwei Level ident miteinander sein werden.

Mit einer anderen Konstellation aus echten Besuchern und Online-Usern sind die Parameter immer andere und generieren so, gemeinsam mit den Regeln des jeweiligen Levels, andere Ergebnisse und Situationen.

Es sind aber nur zwei dieser Levels fürs Publikum geöffnet. Man hat also nur jeweils ab 17 oder 21 Uhr die Möglichkeit zuzuschauen. Was hat das für einen Grund?

Während dieser zwei Levels – jedes ist vier Stunden lang – kann man durch das Schauspielhaus eintreten. Man kann ein Ticket kaufen, die Jacke aufhängen und hineinspazieren. Die restlichen Levels sind nur für Leute zugänglich, die eine spezielle Einladung von einem der Charaktere haben. Eine Einladung von einer der verlorenen Seelen des Tunnelsystems. In diesen Stunden fokussieren wir uns auch mehr auf das Online-Publikum.

Was bedeutet so ein Stück für die Regie? Was ist anders, wo liegen die Schwierigkeiten?

Die Kombination aus Film, Installationskunst und Virtual Media bedeutet, dass ich an dem Stück und mit den Schauspielern aus mehreren Perspektiven arbeiten kann. In der Filmversion gibt es eine totale Kontrolle des Endergebnisses. In dem Teil im Schauspielhaus wird das Stück von den Besuchern getestet während ich noch immer die Kontrolle über die Handlungen habe. Im virtuellen Teil des Stücks wird die Kontrolle komplett an den User abgegeben.

Bleiben alle Schauspieler die kompletten 504 Stunden im Gebäude?

Manche ja, andere nicht.

Man wird ja einige der Schauspieler von zu Hause aus steuern können. Wie bekommt der Schauspieler die Anweisungen?

Auf der Website können die User die Eigenschaften der jeweiligen Charaktere erlernen – von den Kommentaren anderer Besucher und deren Aktivitäten im Forum. Durch einen Chatserver kommuniziert man mit den Bewohnern und kann für einen privaten Chat ausgewählt werden. Als User im privaten Chat hat man dann sozusegen eine menschliche Verlängerung in den materiellen Teil des Stücks und kann so direkt mit den Performern in Kontakt treten.

Cellar Door findet vom 14. April bis zum 5. Mai im Schauspielhaus statt. Mehr Infos zu dem Stück findest du hier.

Bild(er) © Matthias Koslik
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