Beyond Sex and Gender

Als Teil des heteronormativen Mainstreams macht man sich alle möglichen Vorstellungen von Queers. Aber in Zeiten des Internets sollte das alles kein Problem mehr sein.

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Wir treffen uns im Wiener Café Nil. Ich hatte mir keine bildliche Vorstellung einer queeren Internetkünstlerin oder einer avantgardistischen Modedesignerin gemacht, aber Dalia von Wegen und Soso Phist erfüllen sie nicht. Soso sitzt mir mit hochgebundenen, dunklen Locken, einem direkt unter ihrem Mund knapp aus der Gesichtsachse verschobenen Muttermal und kultiviert-bayrischem Klang in der Stimme gegenüber. Gleich nachdem wir besprochen haben, wie man eine Kette durch einen Gartenschlauch ziehen kann, drehe ich das Aufnahmegerat an und Soso wiederholt höflicherweise, was sie gerade über Georges Jacotey, einen griechischen Performancekünstler, der mit der extremen Exponierung seines Körpers und seiner queeren Identität arbeitet, erzählt hat. Er sei der "queerste Internetkünstler", der ihr einfalle. Dalia, die kürzlich den Bachelorkurs in Hetzendorf abgeschlossen hat und im Café ihrer Eltern aushilft, bringt ein Soda-Zitron. Der großformatige Mops auf ihrem Leiberl erinnert an die Aufladung, die Tierbilder im Internet erfahren können. Sonntagabends ist das Café nicht übervoll und Dalia findet immer wieder Zeit, sich für ein paar Minuten hinzusetzen und einige Bemerkungen einzuwerfen; dass sie eine Mädchenfrisur habe zum Beispiel.

Mumus und Penisse sind ok

Soso beginnt zu erzählen, dass sie die Ablehnung, mit der Kunst konfrontiert ist, die sich queerer Identiät und Sexualität widmet, selbst erlebt hat. Aus der Provinz kommend, bewirbt sie sich bei mehreren Kunsthochschulen in Deutschland. Aber erst in Wien findet sie die Akzeptanz, nach der sie sucht. "Auf einmal war es ok, Mumus und Penisse zu malen", erinnert sie sich. Dem, was in Deutschland noch auf Feindseligkeit stieß, war in Wien durch Künstler wie Paul de Florian bereits Bahn gebrochen. Speziell Hans Scheirls Klasse für kontextuelle Malerei, in der Soso landet, ist ein ideales Umfeld für queere Kunst. Die Vorbildwirkung eines Professors, der Transgender ist, sei wichtig für queere Menschen, die Kunst machen möchten, meint Soso und wünscht sich als nächstes ein dementsprechendes Beispiel in der Politik. Während die Bildende und Scheirls Klasse im Speziellen ein gutes, familiäres und beinahe therapeutisches Umfeld böten, seien sie aber oft nicht erfolgreich dabei, die Studierenden herauszufordern, sich weiterzuentwickeln, fährt Soso fort. So bleiben viele – nicht nur unter den Queers – stecken und hören auf, ihre Praxis zu hinterfragen. "Vielleicht gehen sie zu viel aus", vermutet Soso.

Der Montessori-Code

Soso selbst kann mit der Freiheit, die andere anscheinend so überfordert, aber etwas anfangen – sie hält das ihrer montessorischen Schulbildung zugute. Sie entwickelt sich in eine neue Richtung und bringt sich den Umgang mit dem, was manche etwas unbeholfen "Neue Medien" nennen, selbst bei. Angefangen bei Collagen, die sie aus Found Footage zusammenstellt und auf Tumblr veröffentlicht – wohlgemerkt ohne diese anfangs als Kunst zu verstehen -, erarbeitet sie sich die 3D-Animation und das Coden als Methodologien für ihre Arbeit. Inzwischen bespielt sie ihren Tumblr nur noch mit Skizzen.

An der Bildenden steht Soso damit recht alleine da. Zwischen Hinweisen auf "Technik-Loser" und "eingerostete Professoren", von denen selbst die fortschrittlicheren bei den Videoinstallationen vergangener Jahrzehnte stehengeblieben sind, beklagt sie, dass Netzwerke und Markt für digitale Kunst in Wien fehlen – was auch in Hinblick auf die mit großer Marketing-Nachhilfe versehenen Hervorbringungen der Richter-Klasse (Rosa, Ruthner und wie sie alle heißen: alles allzu bewusst traditionell-analoge Malerei und so überhaupt nicht queer) zu verstehen ist. Es ist Soso aber auch wichtig, sich in die andere Richtung abzugrenzen, und zwar vor allem von der im Internet zelebrierten Beliebigkeit. "Ich mag die Trash-Ästhetik gar nicht", sagt sie.

Das Bewusstsein, dass eine Collage erst durch Reflektion von Inhalt und Komposition zur Kunst wird, scheint außerhalb gewisser Kreise wenig verbreitet zu sein. Dabei wäre es so einfach: "Wenn man interessiert ist an dem ganzen Internet-Kunstzeug, dann ist das nicht so schwer, da mitzuhalten." Man müsse ja auch nicht ewig in Wien bleiben, fasst Soso ihre Situation als digitale Künstlerin in Wien schließlich zusammen. Und die Queers allgemein? Möchten die auch weg? Nein, sind sich Dalia und Soso einig. Die queeren Leute fühlen sich wohl, die Szene sei eine "nette süße Familie". Freilich überrascht es wenig, dass nicht alles fein ist. So erzählt Soso auch vom Besuch einer Wiener Großraumdisko namens Praterdome, bei dem sich die queere Gruppe in heterokonforme Pärchen aufteilen muss, um reinzukommen.

Butches und Femmes, Tops und Bottoms

Für mich als Teil der wohlwollenden Sparte der Mehrheitsgesellschaft sind die Verwerfungen zwischen Queers und homosexuellem Mainstream dann schon überraschender. Dalia und Soso berichten von einer Party, auf der sie der Import von Rollenbildern und Verhaltensweisen aus der Heterogesellschaft in die lesbische Community überraschte. Die Aufteilung in Butches und Femmes, Tops und Bottoms finden Dalia und Soso amüsant bis befremdlich. Wie es der Zufall so will, lerne ich einige Tage später bei einer Sponsion Anna Mähr kennen, eine feministisch-queere Aktivistin, die genau jene Party im Marea Alta im Rahmen der Feministischen Frühlings-Universität organisiert hat, von der Dalia und Soso berichtet haben.

Auch sie meint, dass es in verschiedenen Teilen der Community verschiedene Vorstellungen von Gender Performance gibt und macht das an ökonomischen Faktoren fest: Während bildungsferne Schichten eher an althergebrachten Rollenbildern festhalten, befinden sich diese in links-feministischen und künstlerischen Kreisen in Auflösung. Das, was sowohl Anna als auch Dalia und Soso als queer verstehen, hat mit einer Butch-Lesbe, die ganz selbstverständlich die Rechnung bezahlt und einer Femme die Tür aufhält, wenig zu tun. Als ich dann einen Facebook-Gruppenchat eröffne, um mich bei Dalia und Soso für das Gespräch zu bedanken, wird dieser im Nu mit "Nur sixty nine" betitelt. Spannende Websites werden hin- und hergeschickt und ich denke mir, dass es auch Vorteile gehabt hätte, das Interview von vornherein so zu halten.

Jetzt findet Dalia auch Zeit, genauer über ihre Arbeit zu berichten. Ganz bewusst mache sie genderqueere (Sailor Moon-Augen!) Mode, schreibt sie, nicht bloß unisex oder androgyn, sondern unsere Konzepte von Geschlecht vermeidend oder aufhebend will sie arbeiten. Jede soll ihre Kleidung mit der eigenen Identität aufladen können, genauso wie sie ihre Identitäten, sei es ihre Herkunft oder ihre Queerness, in ihren Stücken verhandelt.

Die ultimativ-queere Virtualität

Und da fällt bei mir der sprichwörtliche Groschen: Ich erinnere mich, wie Soso vom Internet als "wunderbarer Quelle, die aus Millionen verschiedener Quellen besteht" gesprochen hat und wie Anna von einem Online-Projekt erzählt hat, das versucht, die tausenden Labels zu katalogisieren, die ununterbrochen formuliert werden, um Gender und Orientation zu beschreiben. Das Ziel ist die totale Fraktionierung und Individualisierung: die ultimativ-queere Virtualität als Praxis. Das klingt vielleicht bedrohlich, aber wer könnte sich eine schönere Herausforderung überlegen als das Finden einer urpersönlichen Identität und die Interaktion mit zahllosen weiteren solcher Identitäten?

Soso Phist ist in der aktuellen Ausgabe des Foundations Magazine und in einer Online-Ausstellung auf yyyymmdd.de vertreten.

Mehr von Dalia von Wegen gibt’s hier.

Bild(er) © Foto: Daliah Spiegel, Artwork: Soso Phist, Mode: Dalia Von Wegen
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