Wissen, was in der Kamera geschieht

In Österreich wird gerade die weltweit erste Open Hardware- und Open Source-Filmkamera zur Serienreife entwickelt. Ein Vorteil für alle – bis auf die konkurrierenden Hersteller.

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Sebastian Pichelhofer ist Gründer und Chairman der Apertus Association, die Axiom entwickelt. Die Open Source-Kamera legt ihre Funktionsweise und Baupläne offen – damit macht sie Weiterentwicklungen für spezielle Einsatzgebiete möglich, eignet sich perfekt für Ausbildungszwecke und wird von der Community verbessert. Welch weitreichende Auswirkungen das hat, erklärt Sebastian Pichelhofer im Interview.

Was bedeutet eine offene Kamera für Konsumenten und Filmemacher?

Im Moment leben die Filmemacher in goldenen Käfigen. Selbst die absoluten Profigeräte – die ein Vermögen kosten – sind im Endeffekt Blackboxes. Niemand außer den Herstellern weiß, was darin mit den aufgenommenen Bildern wirklich passiert. Und der Trend geht in die Richtung, dass Hersteller ihre Geräte noch intransparenter und weniger zugänglich machen wollen, um ihre Technologie vor der Konkurrenz zu schützen oder Konsumenten zu zwingen, nur von ihnen Zubehör zu beziehen oder für das Freischalten von Features noch einmal extra zu zahlen.

Mit der quelloffenen Axiom machen wir genau diese Dinge radikal anders: Alle Baupläne und die gesamte Dokumentation (auch aller Komponenten) wird im Internet veröffentlicht (open hardware). Der gesamte Source Code ist frei verfügbar (open source) und kann verändert und angepasst werden. Wir ermutigen unsere Community, Axiom-Kameras zu zerlegen und hineinzuschauen. Wir erklären, wie sie repariert werden können und welche Module welche Funktionen haben und wie sie ausgetauscht werden können. Das ist nicht nur deutlich nachhaltiger als regelmäßig neue Kameras zu kaufen, weil sich die Technologie weiter entwickelt hat, sondern eröffnet auch völlig neue kreative Möglichkeiten für die Bildgestaltung – ein essentieller Bestandteil für die kreative Arbeit von Kameraleuten.

Welche Rolle spielt hier die Arbeit mit der Hardware und Software jeweils für sich?

Die Axiom-Beta-Hardware an sich ist wie ein Legobaukasten aufgebaut, an allen Ecken und Enden gibt es Slots für das Andocken weiterer Module. Diese Modularität und Flexibilitiät ist auch in der Software allgegenwärtig. Das Betriebssystem ist Linux und auf proprietäre Medien-Prozessoren wird gänzlich verzichtet. Da wir freie Software und offene Hardware verwenden, wird die gesamte Bildverarbeitung transparent.

Ihr bietet mit Alpha, Beta und Gamma drei Modelle an. Was sind die Unterschiede?

Die Axiom Alpha war unser Proof-of-concept-Prototyp, um zu beweisen, dass die Idee in dieser technischen Konfiguration und mit dieser Philosophie (ohne der Verwendung irgendwelcher Komponenten mit proprietärer Lizenz) eine Kamera zu bauen überhaupt möglich ist. Das Ergebnis war eine sehr unförmige Bastel-Kamera, die aber besser funktioniert hat, als wir uns das selbst erwartet haben. Ein halbes Jahr haben wir dann am Bild-Processing getüftelt und Demomaterial gedreht, um damit eine Crowdfunding-Kampagne vorzubereiten. Die Idee war, die Entwicklung der nächsten Generation zu finanzieren: der Axiom Beta. Eine zweite Generation der Kamera, aber in einer viel kompakteren Form und mit einem extrem modularem Aufbau.

Die Crowdfunding-Kampagne hat dann für das Projekt bedeutet, alles auf eine Karte zu setzen. Glücklicherweise war die Kampagne ein Erfolg und das ambitionierte Ziel von 100.000 Euro wurde um mehr als das doppelte übertroffen. Zur gleichen Zeit reichte das Projekt mit einem internationalen Konsortium auch einen Antrag für Innovationsförderung bei Horizon 2020 der Europäischen Union ein, um den großen Bruder der Axiom Beta mit dem Namen Axiom Gamma zu entwickeln – mit Erfolg. Über Jahre waren die einzigen Projektmittel aus Spenden gekommen, was nicht einmal ausreichte, um das Notwendigste umzusetzen. Und praktisch über Nacht war das Projekt um fast 1,5 Millionen Euro gewachsen.

Wie wird eure Kamera von der Community aufgenommen, gibt es bereits Weiterentwicklungen?

Magic Lantern beispielsweise ist ein Projekt, das die Firmware von Canon Spiegelreflex-Kameras »reverse engineered«, um Features freizuschalten, von denen Canon nie wollte, das Kunden sie bekommen sollen. Das Kern-Entwicklerteam war von der Axiom Beta so fasziniert, dass sie ihre Community aufgerufen haben, die Crowdfunding-Kampagne zu unterstützen, als wenn es ihre eigene gewesen wäre. Heute arbeitet das Magic Lantern Team eng mit uns an der Entwicklung der Axiom zusammen.

Welches Einsatzgebiet seht ihr für eure Kameras und wie wird der Markt aussehen?

Die Gründer des Projekts und die Ursprünge der Community kommen aus der Filmbranche. Die Suche nach und Schaffung von Werkzeugen für die eigene kreative Arbeit von Filmemachern ist immer noch das Herz des Projekts. Aber mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von anderen Bereichen, die sich für die Technologie interessieren. Kinofilmproduktion an sich stellt hohe Ansprüche an die Bildqualität einer Kamera. Die hier benötigte hohe Auflösung und Bildrate sind für jede Art von Anwendung interessant: Astronomie, Kartografie, Industrie-Automation und Inspektion wie auch Robotik oder wissenschaftliche Anwendungen. Eine amerikanische Firma hat bereits eine Lösung für die Infrarot-Kartografierung von landwirtschaftlichen Nutzflächen aus Flugzeugen auf Basis der Axiom Beta entwickelt. Ein besonderer Bereich ist noch der Educational Sektor. Keine andere Kamera kann so gut verwendet werden um zu lehren, wie eine Kamera funktioniert.

Gibt es schon einen Kaufpreis?

Die Axiom-Beta-Hardware-Entwicklung ist großteils abgeschlossen und wir produzieren gerade eine erste Kleinserie von rund 15 bis 20 Developer-Kits, die wir an Entwickler und Early Adopter versenden. Aufbauend auf deren Feedback und Ideen werden wir eventuell noch die eine oder andere Anpassung machen.

Diese Kits, also die erste Serie können bereits jetzt um ca 2.800 Euro (exkl. Steuern und Versand) auf der Webseite mit einer Anzahlung von 1.800€ vorbestellt werden. Der geplante finale Verkaufspreis, liegt zwischen 5.000–6.000 Euro.

Weitere Infos zu den Axiom-Kameras unter apertus.org. Im Rahmen von Coded Cultures hat Apertus das Axiom Open Cinema Lab veranstaltet.

Bild(er) © CC Attribution-NoDerivatives 4.0 / International Research Institute for Arts and Technology, www.riat.at
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