Mein erster Kindle

Der Kindle WiFi erweitert seit Herbst 2011 das Angebot der E-Reader. Wenn man Bücher nicht wie einen Schatz hütet, hat das Gerät ein paar sinnvolle Anwendungsgebiete, meint Christian Köllerer.

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Seit einigen Wochen bin ich im Besitz meines ersten Ebook-Readers. Nach einigen Recherchen kaufte ich mir einen Kindle. Das Gerät ist in meinem Bekanntenkreis am häufigsten vertreten und die Zufriedenheit ist hoch. Ich packe ihn in meiner Bibliothek aus, in der gut 5500 analoge Bücher stehen. Zerfledderte Taschenbücher, beanspruchte Leseausgaben und arrogante Werkausgaben beobachten interessiert den Neuling. Wie wird ihre Zukunft aussehen? Werde ich in einigen Jahren statt der 24 überfüllten Billyregale nur noch ein leichtes Lesegerät besitzen, auf dem viele tausend Bücher gespeichert sind?

Mein unromantisches Verhältnis zu Büchern beschrieb ich bereits anderen Orts. Während manche Zeitgenossen beinahe in Ohnmacht fallen, wenn man ihre Schätze berührt, sind für mich Bücher in erster Linie Geisteswerkzeuge. Ich schreibe bei Bedarf hinein, behandele sie nicht wie rohe Eier und ersetze eines, wenn es zu stark lädiert ist. Warum also nicht pragmatisch auf Ebooks umsteigen? Amazon verkauft in den USA bekanntlich bereits mehr elektronische Publikationen als Bücher aus Papier.

Die mobile Bibliothek

Der Hauptvorteil des Kindle leuchtet mir sofort ein: Er ist mit 170g ein Fliegengewicht und so handlich, dass er in jede Jackentasche passt. Etwa 1500 Bücher kann man darauf speichern. Ab sofort trage ich also immer eine kleine Bibliothek ohne Aufwand mit mir herum. Das ist speziell auf Reisen praktisch, aber auch in Wien. Die Bedienung ist noch etwas umständlich, aber hier sind Verbesserungen nur eine Frage der Zeit. Der Kontrast könnte ebenfalls besser sein: Die Qualität eines gut gedruckten Buches wird nicht erreicht, da der Hintergrund nicht weiß, sondern hellgrau ist. Aber auch hier gilt: Die Qualität ist selbst für längere Lektüren ausreichend und bereits besser als bei schlecht gedruckten Taschenbüchern. Im Gegensatz zu den Geräten der ersten Generation wird beim Umblättern der Bildschirm nur noch für den Bruchteil einer Sekunde schwarz, so dass man es kaum bemerkt.

Die Technik

Für alle, die sich bisher nicht mit dieser Technologie auseinandergesetzt haben: Im Gegensatz zu Tablets und Notebooks verwenden E-Book-Reader eine „passive“ Technologie: E Ink. Es gibt keine Hintergrundbeleuchtung, sondern es wird eine Papierseite simuliert. D.h. man braucht auch Licht zum Lesen, wie bei einem normalen Buch. Die beiden Hauptvorteile: Die Augen ermüden nicht, da Lesen auf Papier nachgeahmt wird, und die Akkuleistung ist ausgezeichnet, da nur das Umblättern Energie benötigt.

Das Problem der Ausgaben

Die erste Überraschung: Bei Amazon bekommt man mehr als 15.000 Bücher gratis. Dabei handelt es sich überwiegend um Klassiker, deren Urheberrecht abgelaufen ist. 5000 davon sind auf Deutsch, der Rest auf Englisch. Darunter die besten Bücher der Weltliteratur: Dante, Shakespeare, Cervantes, Goethe und Kafka – alle da!

Der zweite Blick ist freilich ernüchternder: Die Qualität der Ausgaben ist höchst unterschiedlich. So bekommt man nur alte Übersetzungen. Wer also Homer gerne in der Prosaübersetzung Wolfgang Schadewaldts liest oder Dostojewskij in der Swetlana Geiers, muss seine Ansprüche gleich einmal zurückschrauben. Schlimmer noch: Manche Ausgaben sind so billig produziert, dass sie nicht einmal ein Inhaltsverzeichnis haben. Der Nutzen von "Faust I" am Kindle reduziert sich merklich, wenn ich nicht mal schnell eine Szene direkt anspringen kann.

Bei längeren Texten ist das noch fataler. Laut Leserrezensionen gibt es auch Ebooks bei denen komplette Absätze fehlen. Selbst wenn man Bücher kauft – in meinem Fall die elektronische Penguin-Ausgabe von Thornton Wilders "The Bridge of San Luis Rey" – ist man vor Fehlern nicht geschützt: Man findet darin mehr orthographische Schlampereien als im Online-Standard. Das sind allerdings keine prinzipiellen Einwände gegen Ebooks. Verbuchen wir sie einmal großzügig als Anlaufschwierigkeiten. Andere, für mich unverzichtbare Bücher gibt es noch gar nicht, etwa die Werke Heimito von Doderers oder Robert Musils.

Die Navigation

Die Handhabung ist viel umständlicher als bei Büchern. Damit meine ich nicht die teils noch problematische Bedienung des Geräts, sondern die Navigation innerhalb eines Ebooks. Schnelles Vor- und Zurückblättern, ein paar Kapitel überspringen, einen Blick zwischendurch in den Klappentext usw.: Hier ist jedes Ebook der gedruckten Ausgabe weit unterlegen. „Gehe zu“ ist kein Ersatz für schnelles Blättern und Springen. Hier geht es nicht nur um Bequemlichkeit, sondern auch darum, sich schnell mit dem intellektuellen Gehalt eines Werks vertraut machen zu können. Konkrete Passagen wären dank der Suchfunktion freilich schneller aufzufinden. Allerdings ist die Eingabe ohne Tastatur ebenfalls keine ernst zu nehmende Option.

Überrascht war ich darüber, dass es keine Seitenzahlen mehr gibt: Der Lesefortschritt wird in Prozent angezeigt. Zusätzlich ist es ungewohnt, dass man dasselbe „Bücher-Erlebnis“ hat, egal ob man einen Essay liest oder einen zweitausendseitigen Roman. Das Vor-dem-Regal-Stehen, um schnell mal ein Buch aufzuschlagen und hineinzulesen, lässt sich ebenfalls nur schlecht simulieren. Man muss auch nicht bibliophil veranlagt sein, um lieber ein schönes, in Leinen gebundenes Buch in Händen zu halten, als ein kleines Aluminiumgehäuse.

Der Bücherkauf

Bei aktuellen deutschsprachigen Büchern, sieht es derzeit noch düster aus: Das Angebot ist begrenzt und die Preise scheinen angesichts der geringen Produktionskosten überhöht. Der Programmleiter eines Verlags verriet mir den Grund: Die Taschenbuchverlage sichern sich rechtlich gegen niedrige Ebook-Preise ab. Mit anderen Worten: Ein Verlag kann sein Buch nur dann an einen Taschenbuchverlag verkaufen, wenn er zustimmt, dass er das Taschenbuch preislich nicht durch ein Ebook unterbietet.

Vor ein paar Tagen stand ich vor der Entscheidung, ob ich mir die gepriesene Dickens Biographie Claire Tomalins als gebundene Ausgabe für 19,95 Euro oder als Kindle-Ausgabe für 17,96 Euro bestelle. Angesichts des lächerlichen Preisunterschieds entschied ich mich schnell für das analoge Buch.

Der Alltag

Gebrauchsliteratur werde ich mir zukünftig wohl nur noch elektronisch kaufen. Damit meine ich beispielsweise schnelllebige Fachbücher. Ebenso Bücher, von denen absehbar ist, dass ich sie auf meinen Studienreisen benötigen werde. Was Belletristik und Klassiker angeht, hätte ich gerne beide Ausgaben. Eine schön gebundene Ausgabe für daheim und eine gute (!) elektronische Variante für den Kindle. Erste deutschsprachige Verlage kündigten bereits an, dass sie planen Ebooks als Gratiszugabe zu ihren Büchern anzubieten. Auf die Bequemlichkeit, die meisten meiner Lieblingsbücher unterwegs immer in der Tasche zu haben, werden ich jedenfalls nicht mehr verzichten.

Ebooks werden mittelfristig viele Taschenbücher, vor allem Unterhaltungsliteratur, und Fachbücher überflüssig machen. Schöne gedruckte Bücher wird es weiterhin geben.

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