Über die Angst vor Spoilern

Spoiler Alert: Was die Angst vor Spoilern mit uns macht und warum es manchmal gar nicht so schlecht ist, das Ende schon vorher zu kennen – eine pseudowissenschaftliche Abhandlung.

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In der Serie "Lost" sind in Wahrheit alle tot, Jon Snow ist aber dafür irgendwie wieder am Leben und übrigens, in "How I Met Your Mother" überlebt die Mutter genau eine Folge: die letzte. Wem das noch nicht genug ist, der kann jetzt bei Netflix zum Feierabend-Plaisier mit diesem Button seinen nichtsahnenden Freunden das Ende von Serien und Filmen schon vorher zeigen. Wenn er sich traut. Denn der Zorn in Freundeskreis und Internet-Gemeinde ist einem sicher, wenn man das Ende schon vorher verrät. Es soll einen ganz besonderen Platz in der Hölle geben, wo die gemeinen Spoiler-Menschen fürdereinst brutzeln, war in einem Online-Forum zu lesen. Aber spoilern wirklich so schlimm? Oder sind nicht eigentlich die, die immer eine solche Angst davor haben, die wahren Spielverderber?

Mit "Game of Thrones" hat die Angst for Spoilern erst richtig Fahrt aufgenommen

Die Angst vor Spoilern hat mit der Ära des seriellen Erzählens gewaltig Fahrt aufgenommen. Richtig schlimm wurde es dann mit der populären Serie "Game of Thrones": Keiner weiß genau, wann eine Figur stirbt, denn Autor J.R. Martin macht sich eine Spaß daraus, zentrale Figuren ohne jede Vorwarnung ins Jenseits zu befördern. Dadurch macht sich jeder äußerst unbeliebt, der seine Freude über den Tod des furchtbaren König Jeoffrey kundtut. Dies musste auch Stephen King lernen, als er kurz nach der Ausstrahlung der GoT-Folge in der König Jeoffrey umgebracht wird postete: "King Joffrey: one glass of one too many. See you later, you sadistic little punkass."

Durch den darauf folgenden Shitstorm ließ sich Stephen King jedoch nicht beeindrucken und legte gleich nach: "Another Spoiler: Romeo and Julia die in Act 5". Damit macht er einen Punkt: Die Welt geht nicht unter, wenn man das Ende eines Plots bereits vorher kennt und jeder, der aus diesem Grund einer Inszenierung des Shakespeare-Klassikers fernbleibt, hat sowieso nicht mehr alle Murmeln beisammen. Dass sich sogar ein berühmter Thriller-Autor über die GoT-Fans lustig macht, zeigt, das irgendetwas schief läuft. Die Angst vor Spoilern zu einem übermächtigen Phänomen geworden. Warum ist das so? Maik Zehrfeld, Autor des Blogs Seriesly Awesome, sagt, dass es bei aktuellen Serien um ein kulturelles Wissen geht, das man eben bei aktuellen Serien nicht voraussetzen kann.

Ab wann darf man spoilern?

Die Frage ist jedoch, ob das jeden, der die aktuelle Staffel von Game of Thrones noch nicht gesehen hat, zum Kretin macht, oder zu deutsch, zum bildungsfernen Trottel? So einfach ist das selbstverständlich nicht: Vielleicht wartet so jemand ja nur auf den Release der Blu-Ray, um sich die Serie in feinster Auflösung genüsslich reinzubingen? Aber vielleicht lebt er auch einfach nur unter einem Stein. Und wenn er dann hervorkriecht, erwartete er, dass alle Welt darauf Rücksicht nimmt, dass er eines der wichtigsten kulturellen Ereignisse der Gegenwart verschlafen hat. Das ist die eigentliche Unverschämtheit an der Angst vor Spoilern: Ohne Rücksicht wird jeder zum Schweigen gebracht, der eine großartige Serie zu empfehlen hätte. Spoiler! Man überspringt die Vorschau auf die nächste Folge (Spoiler!) und regt sich darüber auf, dass durch die Rückblende zu Beginn einer Folge bereits Hinweise auf den Handlungsverlauf gegeben werden könnten (Spoiler!). Dass die Macher selbst ganz bewusst bestimmte Szenen anteasern, ist den Fans egal.

Müssen wir wirklich warten, bis auch der letzte Hausaufgabenvergesser das Buch gelesen hat?

Wo soll das enden? Müssen Deutschlehrer künftig in der Schule warten, bis auch der letzte Hausaufgabenvergesser Effie Briest zu Ende gelesen hat, um über die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert diskutieren zu können? Wie soll denn ein Stoff zum kulturellen Wissen werden, wenn keiner darüber reden darf, weil irgendwer irgendwo keine Zeit hatte, sich die letzte Folge von irgendetwas anzusehen?

Derweil führt die Angst vor Spoilern zu immer seltsameren Auswüchsen: Der Spielehersteller Hasbro entschuldigte sich bei den Star-Wars-Fans, die Figur Rey nicht in seinem Star-Wars-Monopoly integriert zu haben. Man wollte dadurch Spoiler verhindern, denn durch die Spielfigur hätte man Rückschlüsse auf die zentrale Rolle ziehen können, die Rey im neuen Star-Wars-Film hat.

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Praxis-Seminars am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FHWien der WKW entstanden.

Bild(er) © Bild: Hasbro
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