Vormarsch der Idioten

Das Ost-Londoner Viertel Shoreditch droht zu versinken; in einem undurchsichtigen Meer aus Selbstüberschätzung, Style-Magazinen und Mode-Labeln. 2005 fühlte „Nathan Barley“ aus dem Hause Channel 4 diesem Umstand satirisch auf den Zahn.

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“Trash…as in what’s all around us. And…..bat.” erklärt Nathan Barley (Nicolas Burns) seiner heimlichen Flamme Claire Ashcroft unzulänglich die Philosophie seiner Pop-Kultur Plattform „trashbat.co.ck“.

Über 6 Episoden zu je 25 Minuten hinweg erzählt „Nathan Barley“ vom aussichtslosen Kampf eines Journalisten gegen den Vormarsch der „Idioten“ im Zeitalter der Dummheit. Geschrieben und produziert von Charlie Brooker und dem enfant terrible der britischen Satire-Kunst, Chris Morris, präsentiert sich die Serie als zynisch-nüchterne Auseinandersetzung mit den Protagonisten der Medien- und Fashionszene im Hipster-Viertel Shoreditch, dem spirituellen Zuhause der New Media.

Websistentialism

Barley, ein freischaffender Medienkünstler mit einem Ego so groß wie die Wüste weit, ist der König der New Media Idioten, eine sogenannte „Shoreditch Twat“; ganz nach dem Verständnis der gleichnamigen East Londoner Publikation, die sich bereits 1999 über Shoreditchs abgehoben trendige Szene-Menschen lustig machte. Im Trash Industries Hauptquartier stilisiert er für seine Website unter anderem die infantile Abart des „Happy Slapping“, mit der Handy Kamera aufgenommene Überraschungsangriffe auf Nichtsahnende, zur trashigen Pseudo-Kunstform. Das Opfer seiner Pranks ist meist sein schüchterner Mitarbeiter Pingu, der schon mal von einer Autobattterie gegrillt wird, so dass er sich dabei in die Hose macht. Alles im Namen der Comedy versteht sich.

Dem konventionellen Verständnis von „cool“ glaubt Barley völlig entwachsen zu sein. Seine Pseudo-Individualität zeigt sich vor allem in seinen unzähligen Neologismen, wenn „cool“ nicht mehr „cool“ heisst, sondern „well Jackson“ oder „well fucking Mexico“. Trotz seiner nach aussen getragenen, oberflächlichen Freundlichkeit ist und bleibt Barley ein Ego-Schwein, wenn er der vermeintlich 13-jährigen Mandy z.B. zwar Hunderte an Pfund für Koks zusteckt, sich anschließend jedoch mit einem Blowjob dafür entschädigen lässt.

Keep it foolish

Die stets debil grinsenden, auf Spielzeug-Traktoren herumkurvenden, „Cock-Muff-Bumhole“ (eine Variation des bekannten „Schere-Stein-Papier“) spielenden Fashionistas der sugaRAPE Redaktion vergöttern Barley. Alle außer Dan Ashcroft. Ashcroft (Julian Barratt) ist Barleys vermeintlicher Antagonist; ein missverstandener, einsamer Krieger im Kampf gegen die Idioten. Stets müde, pleite und depressiv. Seine Verzweiflung und Depression entstammen der Rasanz und Unaufhaltsamkeit, mit der er glaubt, die Vermehrung der „Idioten“ beobachten zu können.

Ashroft ist ein wahrer Nowhere-Man. Sein ironisch gebrochener Versuch aus dem RAPE-Universum zu entfliehen und beim seriösen Journalismus der „Weekend on Sunday“ Fuss zu fassen, scheitert in einer der besten Szenen der gesamten Staffel. Die „Idioten“ nämlich haben Ashcroft an den Eiern, zwingen ihn in die Knie, wenn er zB aus Geldnot zur Recherche für eine dubiose Cover Story einem Bauarbeiter in einem familienfreundlichen Pub einen runterholt, auf Nathans Trash Industries Party widerwillig den Preacherman mimt oder den Pinkel-Künstler 15Peter20 in den Himmel heben soll.

Sein aus vollem Herzen ernst gemeintes Plädoyer über den Auftsieg der Idioten hat niemand richtig verstanden. „I rate that easily the best thing I’ve ever read”, meint einer der Idioten. Auf Dans Frage, was denn dann das zweitbeste ware, dass er je gelesen hätte, antwortet derselbe: ”…like…books and shit. Like…Heidi…“

Yeah?

Von Folge Eins an ist klar, dass im Barleyversum der Kampf zwischen Dan und den „Idioten“ schlussendlich zu Gunsten der „Idioten“ entschieden werden wird. Denn um Verstehen und Missverstehen geht es hier nicht. Die alles durchdringende Ironie und die allgemeine Referenzlosigkeit der Trash-Culture haben diese Dichotomie obsolet werden und daraus eine Welt entstehen lassen, in der gilt: „Thinking is rubbish. And rubbish isn’t cool. Stuff and shit is cool.” Oder wie es RAPE-Editor Jonattan Yeah? formuliert: „Stupid people think it’s cool. Smart people think it’s a joke. Also cool.”

Und nur in einer “verkehrten” Welt wie dieser kann es geschehen, dass der am stärksten gegen den Strom anschwimmende Ashcroft widerwillig zum Prediger auserkoren wird.

Als „Nathan Barley“ Anfang letzten Jahres über Channel 4 flimmerte, entzündete sich die öffentliche Debate an der u.a. von TJ Washington für den Online Telegraph geäußerten Kritik, die Serie sei aufgrund ihrer Ästhetik eher Affirmation als Kritik der Fashion und New Media Szene und würde deshalb vermutlich vor allem von den „Idioten“ selbst gesehen und geschätzt. Das war echt das beste, was ich jemals gelesen habe. Well fucking futile.

"Nathan Barley" wurde am 11. Feber 2005 zum ersten Mal ausgestrahlt. Ein wenig später erschien dieser Artikel in The Gap. Der Guardian hat der Serie einen ausführlichen Artikel gewidmet, zehn Jahre später würde die Serie wie eine Dokumentation der Zukunft wirken. Buzzfeed hat schon vor einem Jahr 14 Dinge gesammelt, mit denen die Serie die Zukunft vorhergesehen hätte.

Alle 6 Episoden von Nathan Barley finden sich heute halblegal auf Youtube.

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