Monster ex Machina

Wohin mit der Blutlust? Wir brauchen Horror wie unsere täglichen Nachtträume. Zum Glück stillt eine Reihe von Serien unseren Durst. Ein Streichzug durch die Psyche mit paar aktuellen Serien-Empfehlungen.

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Endlich ist sie wieder da, die schönste Zeit des Jahres. Düster ranken sich Äste im Nebel, und obwohl Vampire, Werwölfe und andere übernatürliche Gestalten eigentlich Dauerburner sind, ist es doch am heimeligsten, diese alten Gespenster in der herbstlichen Dunkelheit aufleben zu lassen – ob als Gruselgeschichten bei der Nachtwanderung oder beim Serienschauen zuhause. Denn Horror tut gut. Horror kann potent und mit Elan politische Themen umtreiben, darf beleidigend und ungustiös sein, denn das ist ja sein Sinn. Die beliebteste und schrillste der Horrorserien, "True Blood", ist nun allerdings abgelaufen – bei der Erwähnung ihrer öden finalen Staffel schauen Vampirfans betreten zu Boden. Wohin zieht es einen also bei gegenwärtiger Blutlust? Die riesigen Plotmaschinen der Unterhaltungsindustrie haben sich wieder in Bewegung gesetzt. Sie stoßen schaurig schöne Dinge aus, manchmal ein bisschen mies, manchmal auch genial. Aktuelle Serienproduktionen wie "American Horror Story", "Hemlock Grove" oder "Penny Dreadful" verdeutlichen: der gemeine, seriell erzählte Schauder reicht heutzutage alleine nicht mehr aus, Seher sehnen sich in ihrer Angstlust nach dem alles umfassenden Horror-Mashup, nach dem gebündelten Grauen, das Schreckensszenarien gleichsam prometheisch vereint. Hier ein paar opulente Serien die, wie man sagt, "go bump in the night".

Reiz des Horror-Mashup

So wie Lieder sich mit Gusto kombinieren lassen, so auch der Horror. Die meisten Gestalten des Horrorgenres sind wirklich schwer wegzukriegen – vieles ist so alt wie Folklore selbst. Anderes, der romantische Vampir zum Beispiel, ist seit über 200 Jahren im Trend. Einiges ist auch sehr jung: Clowns, der High-School-Weirdo, exzentrische Serienmörder – alles Kultinstitutionen des 20. Jahrhunderts. Nun scheint es ein beliebter Trend zu sein, in Serien und Filmen Vorgeschichten beliebter Figuren nach- (TV-Serie: "Dracula") und vorzuerzählen (Film: "Dracula Untold"). Die einzelnen Elemente des Plots – Figuren, Tropen, ganze Erzählstränge – lassen sich aber auch kombinieren und zusammenbasteln – wie Leichenteile, die sich zu einem Frankenstein-Monster vereinen. Wozu sich nur einer Gestalt widmen, wenn man sie alle haben kann?

Horror ist eine wunderbar reiche Gattung. Sie fließt sowohl ins Fantastische wie ins Reale; siehe Guillermo del Toros recht witzige Vampirserie "The Strain" sowie das schleppend anspruchsvolle "Les Revenants". Und nun, in den Zeiten der Postmoderne – Surrealismus und Avantgarde knapp 100 Jahre alt – ist es schon fast altmodisch, ikonische Figuren und Themen auf einmal in einen Topf zu werfen und zu schauen, was da so hervorbrodeln mag. Lasst die Werwölfe mit den Vampiren spielen und Frankenstein soll Jack the Rippers Opfer obduzieren.

Public Domain Gothic Horror

Zweiteres ist etwa bei "Penny Dreadful" der Fall. Darin wird zunächst ein cowboyartiger Scharfschütze (Josh Hartnett) beauftragt, in den nassen Straßen Londons gemeinsam mit einer mysteriösen Frau (Eva Green), einem Afrikaforscher (Timothy Dalton) und dem jungen Victor Frankenstein die zarte Mina Harker von Vampiren zu befreien. Man geht ins Grand Guignol-Theater, sitzt dabei in einer Loge gegenüber von Dorian Gray während Frankensteins Monster im Keller die Nebelmaschine bedient. Werwölfe und Exorzismen, die auf archaische Psychoanalyse anspielen, kommen auch irgendwie vor. Was stark an Alan Moores "League of Extraordinary Gentlemen" erinnert, ist lediglich ein weiterer sehr verständlicher Wunsch nach dem Aufleben allerorts beliebter Genregestalten, für die es auch kein Copyright mehr gibt.

Inmitten der schattigen, von Dampf und mit Öl verschmierten prädigitalen Welt scheinen wir eine Nostalgie für jene Zeit zu haben, in der technologische Wunder noch antizipiert wurden; in der Technologie und Gadget noch Kupfer, Achselschweiß und Zahnräder evozierten – haptische, dreckige Dinge. Der Anblick von Ruß, Schmutz, ein paar Antiquitäten und alter Landkarten suggerieren nun sofort Magie und Fantastik, bieten einen Gegenpol zu der Ästhetik von Sauberkeit und Übersichtlichkeit so mancher Detektiv- oder Historienserien, in der Schmuddel, Grauen und Verderbnis einfach fehlen (ist zum Beispiel in "Downton Abbey" der Erste Weltkrieg überhaupt passiert?). Die Bilder von "Penny Dreadful" schreien nach Gothic Horror, der Plot taumelt und stolpert wie die mühsamen Schritte von Boris Karloffs Frankenstein. Hier wird die Romantik noch einmal aufbereitet, vielleicht sogar wie in einer Art Schnellkurs für das 21. Jahrhundert. Obwohl der Ernst der Serie oft Oberhand gewinnt, ist ihre fast schundige Art noch immer sehr passend: die in "Penny Dreadful" abgebildete Epoche ist ja auch das Zeitalter des Feuilletonromans, des seriellen Erzählens also, und findet sich als Fernsehserie wieder in ihrer passenden Form.

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