Kunstkrieger

Seit der Arabische Frühling in Ägypten Einzug genommen hat, sind drei Jahre vergangen. Marco Wilms malt in „Art War“ mit neuen Farben und dokumentiert die Geschichte junger Street Artists, die ihre ganz eigene Revolution führen.

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Januar 2011: Auf dem Tahrir Platz in Kairo kommt es zu Protesten. Plakate und Parolen läuten Mubaraks Sturz ein und markieren den Beginn einer Revolution, die die Welt inspirieren sollte. Der Arabische Frühling hatte Ägypten erreicht und stand nun in voller Blüte. Der deutsche Filmemacher Marco Wilms hat eine Gruppe von Menschen zweieinhalb Jahre begleitet und stellt chronologisch die Ereignisse des politischen Umschwungs dar.

Nachdem die Aufstände in den letzten Jahren regelmäßig die Medien befüllten, vollführt „Art War“ einen Drahtseilakt und erzählt die Geschichte aus der Perspektive von mutigen Künstlern, die diesen Krieg auf ihre eigene Weise führen. Bewaffnet mit Spraydose oder Pinsel bringen sie Straßenwände zum Sprechen und erzählen Geschichten von Krieg, Anarchie und Rebellion. Unabhängige Blätter werden vom Staat unterdrückt, die Straße bleibt als einziges Medium. Die Mauer ist die Wandzeitung des Widerstands. Auch Musiker schließen sich der Kunstrevolution an und unterlegen die Dokumentation mit aggressivem Hip-Hop und Electro auf Arabisch. „Töte jeden einzelnen, aber die Idee wirst du nicht töten.“ Das Volk ist wütend, aussichtslos, verzweifelt. Ihr einziger Antrieb sind die eigenen Farben, Rhythmen und Texte.

Die Macht des Volkes

Wie viel die Menschen tatsächlich bewirken können, wird schnell bewusst. Ein Grafitti-Künstler filmt mittels Handykamera einen Polizisten dabei, wie er 19 Demonstranten auf brutale Weise in die Augen schießt. Schnell gelingt es, dem Bildmaterial eine Schablone seines Gesichts zu entnehmen und die Straßenmauern damit zu verzieren. Der Schriftzug „Wanted“ in scharlachrot tut sein Übriges. Die Initiative zeigt Wirkung, der Mann wird gefunden und rechtskräftig verurteilt. Einer der Sprayer gibt ihre Methoden so zu verstehen: „Grafitti sind eine positive Art, das politische Feuer, das auf den Straßen brennt, auszudrücken.“

Das ist Art War. Die Menschen lernen, sich zu wehren. Nicht etwa mit Schlagstöcken und Molotov-Cocktails, nein, mit Bildnissen und Zeichen. Ermordeten setzen sie ein Denkmal in der Mohamed-Mahmoud-Straße in Kairo, indem sie ihre Portraits, und später die ihrer Mütter, auf den Mauern verewigen. Immer wieder werden sie übermalt, zerstört, beschädigt. Die Künstler malen sie neu, geben nicht auf. Überraschenderweise beziehen sie sich dabei sehr oft auf die antiken Ursprünge der ägyptischen Kunst und manifestieren somit die tiefe Verwurzelung ihrer Kunst in der traditionellen Kultur Ägyptens. Als ein Demonstrant ein Shirt mit der Aufschrift „God is busy. Can I help?“ trägt, versammelt sich sofort eine Menschentraube um ihn, er wird der Blasphemie beschuldigt und bedroht. Am Oberteil eines Gruppenmitglieds kann man „I Love New York“ lesen.

Die Zeit heilt alle Wunden

Marco Wilms schafft es dem Zuschauer ein tiefer gehendes Verständnis für die Ereignisse der letzten zweieinhalb Jahre zu vermitteln, ohne dabei in Eintönigkeit abzuweichen. Ihre Verzweiflung und ihr Frust ist es, was die Menschen zu kreativen Höchstleistungen treibt. Vor allem aber ruft Wilms Erinnerungen ins Gedächtnis, die durch das abgeflaute mediale Interesse beinahe in Vergessenheit geraten wären. Als gegen Ende der Dokumentation Electropunk-Sängerin Bosaina einen kleinen Jungen fragt, was er von der Revolution halte, antwortet er mit Missmut. Er habe Schmerzen, sein Bein wäre verletzt, alles nur wegen dieser Revolution. Bosaina entgegnet ihm: „Am Ende werden die Wunden heilen.“

„Art War“ wird seit 23. Jänner 2014 in ausgewählten Kinos in Deutschland gezeigt, ein Österreich-Start steht noch nicht fest. Bis dahin gibt’s hier den Trailer und neue Infos über die Facebook-Page.

Bild(er) © Marco Wilms, Heldenfilm
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