Enthusiasmus, direkt gefolgt von Scham

Johannes Grenzfurthner, bekannt nicht zuletzt von Monochrom, hat mit »Traceroute« ein Roadmovie gedreht und gibt darin einen großartigen Einblick in seinen Zugang zu Nerdkultur.

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Johannes Grenzfurthner, bekannt unter anderem als Mitglied von Monochrom, ist quer durch die USA gefahren und hat Protagonisten unterschiedlicher Nerd-Culture besucht. Der Dokumentarfilm »Traceroute« ist der Produkt gewordene Output dieses Roadtrips. Ein informativer, schneller und immer unterhalsamer Einblick in die Welt von Johannes Grenzfurthner und weit darüber hinaus. Denn es gelingt ihm in der Auswahl der Gastgeber, im Erzähltext und in Interviews herauszuarbeiten wie immens wichtig und wie groß der Einfluss dieses Umfelds ist. Nerds sind mit ihrer Begeisterungsfähigkeit und dem Interesse an (Detail-)Wissen wahrscheinlich schon lange, aber spätestens in den letzten 50 Jahren nämlich jene, die Entwicklungen zu Stande bringen, Lösungen finden und Vorgänge neu denken. »Traceroute« feiert dies mit einer bestechenden Mischung aus Neugierde, Fantum, Offenheit und doch auch Poiniertheit und Klarheit in der Aussage.

Ich habe mit Johannes Grenzfurthner eine Art Email-Interview gemacht, dessen Ergebnisse hier verarbeitet sind. Es gibt noch viel mehr. Ausgelassen wurden in diesem Teil des Interviews Johannes sehr spannende Ausführungen zum Thema Nerdkultur / Arbeit / Kapitalismus. Die müssen wir an anderer Stelle nachholen.

All dem will er gerne etwas voranstellen:

Johannes Grunzfurthner: »Eine kleine Präambel Wolfang Schüssel’scher Provenienz: Ich gelobe feierlich, dass ich mich hier nicht zur Spoilerei treiben lasse, und wenn ich Themenkreise anspreche, dann als feiste Exkurse, weil ich sie im Film nicht so detailliert unterbringen konnte und wollte. Da bin ich all voran Nerd. Und ein transmedialer noch dazu. Sieh das Interview also als textgewordenen DVD-Kommentar.«

Deine Reise bringt dich immer wieder an Orte und zu Personen, die die Bedeutung von Nerdculture für einen allgemein Fortschritt aufzeigen. Auch wenn Nerdtum heute anerkannter und angesehener ist, als noch vor zehn Jahren, so ist das bei aller Offensichtlichkeit, doch ein selten so explizit geäußerter Zusammenhang. Wieso und wie würdest du diesen beschreiben?

Johannes Grenzfurthner: Nerd Culture existiert in der Form wie wir sie kennen ja nicht sehr lange, aber rückblickend betrachtet war ich immer schon Nerd – obwohl der Begriff im deutschen Sprachraum erst eher spät angekommen ist. Ich war immer einer, werde immer einer bleiben. »Traceroute« ist also auch ein zum Scheitern verurteilter persönlicher Exorzismus – also Erbsensuppenspeiben bis in alle Ewigkeit. Ich habe mich immer sehr für Technik, Wissenschaft und Sci-Fi, D&D und auch Zeug wie Kryptozoologie interessiert. Meinen ersten Computer habe ich Mitte der 80er-Jahre bekommen, damals war ich zwölf Jahre alt, und der Baby-Boomer-Vater musste dafür beim Herlango (!) noch sehr viele priviligierte Schillinge hinlegen. Über das BBS-Netzwerk und das FidoNet hatte ich plötzlich Zugriff auf Sachen, die es im Kaffee Stockerau, wo ich ordentlich sozialisiert wurde, nicht gab. Ich wurde also vom Cyberpunk zum Punk, und deswegen wurde mir der Widerstand ins soziale Gefüge gelegt. Ich war – was meine Interessen und auch meine Politik betraf – einfach immer ein Aussenseiter… zwar mit vielen Freunden, aber es war auch nie klar ob die mich wirklich verstehen. Dieses Defizit habe ich dann irgendwann auf den Kopf gestellt und ein Fanzine gegründet. So ist „monochrom” entstanden, die Kunstgruppe für die ich als Gründergevatter bekannt bin. Die Sci-Fi- und Fantasy-Szene war damals konservativ-bieder, die Antifa zu altbacken technophob, und dem wollten wir etwas entgegensetzen. Eine neue Kultur und Perspektive, wenn man so will.

Hab ich schon erwähnt, dass mich Wolfgang Schüssel am Oasch lecken kann?

Und dann wird er doch noch konkreter…

Johannes Gernzfurthner: Ich denke das ist wie mit dem Turing-Test. Man erkennt sehr schnell wer ein Nerd ist und wer nicht. Ein paar wenige Fragen reichen aus, fast wie in einem Voight-Kampff-Test. Es geht um eine bestimme Sicht auf die Welt und eine spezielle Wahrnehmungspraxis. Im Endeffekt ists egal, ob sich die Besessenheit auf Bluthänflingseier oder Sinclair-QL-Textadventures fokussiert. Der Enthusiasmus, immer direkt gefolgt von der Scham, ist das ausschlaggebende Moment des homo nerdens. Ich will ja nicht pathologisieren, aber es handelt sich schon um eine eigenartige psychosoziale Feedbackschleife. Deswegen war es mir auch sehr wichtig in »Traceroute« einen Therapeuten zu Wort kommen zu lassen, und was er erzaehlt hat mich direkt in meine Kindheit katapultiert. Flashback mit Schildkröte in der Wüste.

Und ein Aussschnitt seiner Antwort auf die Frage nach seinem Umgang mit Ideologien und Denkschulen, die er allesamt – akuell etwa Openness – kritisch hinterfragt. Sind alle Ideologien dem Untergang geweiht?

Johannes Grenzfurthner: Absolut. Ich bin, wie das die Amis sagen würden, sehr opinionated. Aber eher wie Adorno, als wie Gunkl. Es geht mir in meiner Arbeit, und natürlich auch in »Traceroute«, immer um eine Vermengung und Verschaltung von Unterhaltung, Politik und Ästhetik. Es ist eine spielerische, aktivistische Praxis. Dennoch lodert – so sicher wie das Amen in der Kirche – die diskursive Falle. Es gibt genug Leute, die Aktionen, Filme, Kunst einfach nur als „symbolische Politik“ abschassen und am unteren Ende der Subversionsskala ansiedeln.

Als kritischer Nerd verstehe ich das Nerdsein auch als ein Reflexionsprozess darüber, was ich denn da in den letzten vierzig Jahren mitverbrochen habe. Nerds als Verursacher (Apple! Amazon!), aber auch als potentielle Widerstandsnester.

Und ewig stampft die Java-Engine.

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