Die Rückkehr der Porno-Pippi

Igitt, „Feuchtgebiete“, das ist ja total 2008. Jetzt kommt der Skandalroman auf die Leinwand. Und: Es gibt schlechtere Literaturverfilmungen. Charlotte Roche gab vorab ein wenig Aufklärung.

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Dschungelcamp-Exhibitionismus und mehr Bravo-Niveau als Literatur, oder doch ein feministisches Manifest gegen die Doktrinen der Hochglanzmagazine, die eine perfekte Weiblichkeit propagieren? Vor fünf Jahren polarisierte in der deutschsprachigen Literaturwelt niemand so sehr wie Charlotte Roche mit ihrem Debütroman „Feuchtgebiete“. Beim Verlag Kiepenheuer & Witsch schrillten jedenfalls bei Sichtung des Skripts die Pornografie-Alarmglocken und man lehnte die Geschichte ab. Dumont hatte weniger Berührungsängste und verbuchte einen veritablen Erfolg: Schnell und lange stand „Feuchtgebiete“ ganz oben auf den Bestsellerlisten. Und als sich die Rechteverwertungskette rund um das heiß diskutierte Büchlein in Gang setzte, schaute man sicher auch nicht schlecht. Roches Hygienearmageddon über die Scheidungswaise Helen Memel, die mit Analfissur im Krankenhaus liegt, wurde in 27 Sprachen übersetzt, die Filmrechte verkauft und mehrmals für die Bühne verwertet. Diskursauffälligkeiten dabei: Die Theaterkritiken zu „Feuchtgebiete“ fielen deutlich besser aus als die Buchrezensionen. Im Gegensatz zum Roman – so der Tenor –, habe das alles auf der Bühne plötzlich mehr Tiefgang.

Codename Memelland

So gesehen sind die Voraussetzungen für eine Verfilmung nicht schlecht. Literarische Mittelmäßigkeit gewinnt anscheinend durch den Medienwechsel. Seit 2010 arbeitete man unter strenger Geheimhaltung und dem Codenamen „Memelland“ an einer filmischen Umsetzung des Stoffes. Jetzt ist alles fertig und Charlotte Roche hielt sich dabei aus dem Entstehungsprozess heraus. „Ich habe gehört, dass die Filmleute immer so Witze über Autoren machen, die nicht loslassen können – das wollte ich nicht“, erzählt sie, gesteht aber, dass sie den Produzenten ausgesucht hat: „Es war die beste Entscheidung meines Lebens, den Film Peter Rommel zu überlassen.“ Der hat nämlich Regisseur David Wnendt ins Boot geholt, der 2012 mit seinem Debütfilm „Kriegerin“ erfolgreich durchstartete – ein Film über eine mit Nazisymbolen zutätowierte Rechtsradikale, die mit ihrer Skinhead-Partie die Straßen unsicher macht. Bis sie eines Tages in einem Jungen nicht mehr nur den Ausländer sieht. „Nachdem ich diesen Film gesehen habe, bin ich völlig ausgeflippt – aber positiv“, so die Autorin, denn er zeigt vor allem eine „richtig krasse, spezielle, besondere und gestörte weibliche Hauptfigur.“

Emmanuelle, Ronja und Pippi

Erfahrungen mit krass gestörten, speziell weiblichen Hauptfiguren schaden jedenfalls nicht, wenn man so etwas wie „Feuchtgebiete“ verfilmt. In der 27-jährigen polyglotten Schweizerin Carla Juri, die heuer bei der Berlinale den European Shooting Star Award erhielt, fand das Memelland-Team die ideale Besetzung. Roche, nie um griffige Vergleiche verlegen, quillt vor Begeisterung über, wenn die Sprache auf Carla Juri kommt: „Sie ist wie eine Mischung aus Emmanuelle, Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf – irgendwie nicht von dieser Welt. Jeder Journalist, der mit mir über Carla redet, hat sofort strahlende Augen und ist verliebt.“ Ein Grund für Eifersüchteleien? Im Gegenteil: „Es ist richtig erleichternd, dass mal ein anderes Gesicht an Helen Memel gekoppelt wird und eine andere Frau als ich mit der Matsche herummachen muss.“ Der Roman sei nämlich ein körperlicher Striptease und ein Abhandeln ihrer Pubertät gewesen, aber heute, über fünf Jahre später, hat sie nicht mehr viel damit zu tun.

Auf der Leinwand ist er jetzt trotzdem und es bleiben immer noch genügend pikante Szenen über. Blutgetränkte, selbstgebastelte Tampons werden getauscht oder mit Grillzangen aus der Vagina entfernt, mit Sperma bespritzte Pizzen genüsslich verzehrt oder man watet knietief durch den Dreck öffentlicher Toiletten, bevor mit der Muschi versiffte Klobrillen sauber gewischt werden. Der Emotionsmix aus Scham, Ekel, Mitgefühl und Erregung kommt jedenfalls recht passabel rüber. Ob man dann im Kino auch, so wie bei Roches Lesetouren, mitunter neben perversen Männern, die sich fröhlich einen runterholen, zu sitzen kommt, wird sich zeigen. Dementsprechend ist Roches Fazit zu ihrer ersten Romanverfilmung abseits euphorisierter Promosätze mit Vorbehalt zu genießen: „Eine schöne Droge ohne schlechte Nebenwirkungen.“

„Feuchtgebiete“ startet am 23. August in den österreichischen Kinos.

Zum Trailer geht es hier.

Bild(er) © Peter Hartwig / Majestic
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