Diagnose: Cinephilie

Vom Text zum Bild, von der Theorie zur Praxis – die Filmkritikerin Maya McKechneay präsentiert auf der Viennale 2016 mit "Sühnhaus" ihr Film-Debüt. Ein Umriss.

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Als Maya McKechneay vor mir in einem kleinen Café am Karmelitermarkt sitzt, entpuppt sie sich als die Dreifaltigkeit der filmischen Auseinandersetzung: Kritikerin, Theoretikerin, und jetzt auch Regisseurin. Als sie von ihrem Filmprojekt "Sühnhaus" zu erzählen beginnt, schwingt vor allem Erleichterung in ihrem Ton mit – sie ist sichtlich froh, ihr Debüt abgeschlossen zu haben und es dem diesjährigen Viennale-Publikum präsentieren zu können. Im Nachhinein würde sie vieles anders machen, meint sie lachend, doch rückblickend scheint sie trotzdem zufrieden mit sich und ihrer Dokumentation zu sein.

Diagnose: Cinephilie

Die gebürtige Münchnerin ist eigentlich zum Studieren nach Wien gekommen. Während ihres Germanistikstudiums läuft sie allerdings zur "Filmtheorie" über, das Stichwort "Popkulturdebatte" fällt dabei im Interview, die sie dann auch zum Hierbleiben bewogen hat. "Wir waren eine Gruppe, die ziemlich schräg und auf eine wahnsinnig schöne Art über Film nachgedacht hat." Als die damals 24-jährige McKechneay dann als Einzige aus ihrem Cineasten-Zirkel, wie sie mit überzeugter Miene erzählt, zur Berlinale fährt und den neuen Film von David Cronenberg sieht, meldet sich das damals noch existente (und vom kleinen PVS-Verlag herausgegebene) Filmmagazin Meteor. Sie solle doch einen Essay darüber schreiben. Mit ihren Beobachtungen zur Science-Fiction-Story von »eXistenZ«, ihrem ersten publiziertem Filmtext, erweckte sie die Aufmerksamkeit des Falter und wurde kurzerhand engagiert.

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Fast 20 Jahre später hat Maya McKechneay einiges zum Thema Film durchdacht, erörtert, erklärt und publiziert. Sie schreibt für den Falter, tritt ab der ersten Ausgabe des österreichischen Filmmagazins Ray als Redaktionsmitglied in Erscheinung und präsentiert in Vorträgen rund um Filmfestivals ihre fachkundigen Überlegungen. Wortgewand und wohlüberlegt spricht McKechneay im Interview über ihre analytische Vorliebe, sich mit gruseligen Skurrilitäten wie die Inszenierung von angsterzeugenden Räumen wie "Haunted Houses" in Horrorfilmen auseinanderzusetzen.

Nach all den Filmtheorien, die die versierte Fachfrau während unseres Gesprächs auf beeindruckende Weise zu erklären versucht, schien es fast schon vorprogrammiert, dass sie selbst einmal hinter der Kamera stehen wird. Grund für den tatsächlichen Start ihres eigenen Filmprojekts war dann genau genommen das Kriminalmuseum, das nur wenige Schritte vom Karmelitermarkt entfernt einiges an abstrusen Mordrelikten zur Schau stellt. Ein rußschwarzer, vom Körper abgetrennter Kopf einer Frau hat es der Münchnerin dort besonders angetan. Es handelt sich dabei um ein Opfer des Ringtheaterbrandes, der 1881 in Wien 386 Theaterbesuchern das Leben kostete. McKechneay beginnt genauer nachzuforschen, stößt auf Ungereimtheiten, Vertuschungen, einen in Vergessenheit geratenen Skandal rund um Sigmund Freud und Kaiser Franz Josef. Irgendwann hat sie so viel Material gesammelt, dass eine filmische Umsetzung immer plausibler erscheint. Die Idee kommt bei Bundeskanzleramt und Filmfonds Wien gut an, das Projekt wird gefördert. Gemeinsam mit Kameramann Martin Putz beginnt sie, dem kollektiven Vergessen des Ringtheaterbrands entgegenzuwirken. "Maya kommt ganz klar vom Text, sie sieht und sucht die weiterreichenden Zusammenhänge. Den Bildern war dadurch immer ein Weg bereitet, deshalb war es sehr einfach, die richtigen Bilder zur Geschichte zu finden", erzählt Putz auf die Frage hin, wie sich die Zusammenarbeit mit der Regie-Debütantin angefühlt hat. Das große Ganze zu sehen war wohl ein besonderes Anliegen während den Dreharbeiten zu "Sühnhaus". Dass es als praktischer Neuling aber nicht immer einfach ist, hat sie als Regisseurin am Set schon recht schnell lernen müssen. "Bestimmte Dinge funktionieren in der Theorie super und in der Praxis dann gar nicht."

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"Männerübergewicht"

Maya McKechneay macht nun also Filme. In Österreich gibt es immer noch nicht besonders viele Frauen, die das tun. "Bei der Regie teilt sich das meist nach dem Budget auf: Bei Low-Budget-Produktionen hast du vergleichsweise viele Frauen und bist da fast ausgeglichen. Sobald das Budget größer wird, dünnt es sich immer mehr aus. Ich finde es toll, wenn österreichische Regisseurinnen TV-Komödien drehen, wie Marie Kreutzer, oder "Tatort" wie Sabine Derflinger – auch, weil ich daran glaube, dass es im Kino so etwas wie einen weiblichen Blick gibt."

Eine männlich-dominierte Berufsbranche war es dann auch, die die "Sühnhaus"-Regisseurin während der Dreharbeiten am meisten herausgefordert hat: Die Polizei, die durch den Standort der Polizeidirektion am Schottenring 7-9 – an jener Stelle, wo 1881 das Ringtheater abbrannte – eine wesentliche Rolle in der Doku spielte. McKechneay wusste schon vor Drehbeginn, dass sie in einem stark männlich dominierten Umfeld drehen würde – und suchte zunächst nach einer Kamerafrau, als einer Art Gegengewicht. Da allerdings aus kreativer Sicht vieles für den filmtechnisch-experimentierfreudigen Martin Putz sprach, entschied man sich dann doch für einen Kameramann. Umso wichtiger wurde es McKechneay, mit einer Sprecherin genug "weibliche Färbung" in die Doku zu bringen. "Bei einer klassischen Dokumentation hast du sehr oft den Fall, dass dir Männer die Welt erklären. Eine Stimme, die aus dem Nichts wie Gott sagt, wie es läuft." Als Paradebeispiel dient hier Otto Clemens, der als "Universum"-Stimme vom Olymp der österreichischen Sprecher herablacht. Die Rolle der erklärenden Frau, die aus dem Off die Geschichte erzählt und das Kinopublikum durch den Film manövriert, nahm McKechneay dann trotz stimmlicher Selbstzweifel selbst ein. Nein, als Sprecherin sähe sie sich nicht, sie musste sich dafür "zusammenreißen", erzählt sie im Interview. Ein Charakterzug, der in dieser Einschätzung mitschwingt und sich auch durch "Sühnhaus" zieht, ist ihre kritische Haltung gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber allem anderen. Viennale-Direktor Hans Hurch kann davon bereits ein Lied singen. "Was ich an Maya immer geschätzt habe, ist ihre durchaus kritische Haltung mir und der Viennale gegenüber. Ich kann mich erinnern, sie hat die Viennale einmal als ein "Altherren-Festival" bezeichnet, weil wir zu viel Straub und Oliveira und Ähnliches gezeigt haben."

Diese aktive Kritikfähigkeit macht sich in Maya wie auch in ihrem Film immer wieder bemerkbar. "Ich glaube, der Punkt ist, dass man das Selberdenken nicht aufgeben darf. Man sollte nie in die Situation kommen, in der man glaubt, die anderen richten es schon für einen."

Der Dokumentarfilm "Sühnhaus" hat auf der Viennale Weltpremiere und kommt am 8. Dezember, dem 135. Jahrestag des Ringtheaterbrandes, in die österreichischen Kinos.

Bild(er) © Marlene Mautner
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