Brot und Spiele

Die politischen Entscheidungen wandern vom Souverän – der Bevölkerung – weg, der sich stattdessen von einer riesigen Entertainment-Industrie ablenken lässt. Solange die Entscheidungen »richtig« sind, gilt das nicht mal wirklich als Skandal. Die Filmindustrie hat das, was wir heute Postdemokratie nennen, bereits lange vorweggenommen. Ein Essay.

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Um den zweiten Teil von »Hunger Games – Die Tribute von Panem« angemessen beurteilen zu können, lohnt es sich, einen Blick in eine Szene am Anfang des ersten Teils zu werfen. In ihr kommt keine Waffe vor, und sie findet auch nicht in einer Arena statt. Gale, die Jugendliebe der Protagonistin Katniss, schlägt im Vorfeld der blutigen Gladiatorenkämpfe eine einfache Lösung vor, um diese zu verhindern: »What if everyone just stopped watching?« Doch er weiß genauso wie Katniss, dass dieser Wunsch nicht eintreten wird. Die Hunger Games sind das mediale Ereignis des Jahres, und jeder Einwohner von Panem verfolgt sie.

2004 erschien das wohl einflussreichste Werk der jüngeren Politikwissenschaft: In »Post-Democracy« fasste der Brite Colin Crouch das Unbehagen gegenüber dem Status der Demokratie im 21. Jahrhundert in eine einfache – manche würde sagen populistische – Theorie: Die westlichen Staaten seien in einem Zustand der Postdemokratie angekommen. Demokratische Institutionen und Vorgänge seien dabei keineswegs verschwunden. Wahlen werden abgehalten, Regierungen wechseln, grundlegende Menschenrechte bleiben unangetastet. Aber die Entscheidungen verlagern sich immer mehr in Hinterzimmer, in Expertenrunden, Ausschüsse. Wahlkämpfe drehen sich nicht mehr um zentrale Zukunftsfragen, sondern verkommen zu Scheingefechten über Randthemen, die von PR-Experten ausgewählt werden. Wichtig ist, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden, nicht wer sie trifft. Nicht der Input zählt, sondern der Output. Crouchs Thesen wurden begeistert aufgenommen.

Dystopie und Alltag

In der Populärkultur werden diese Mechanismen natürlich immer dramatischer und totalitärer dargestellt. Und doch haben viele der populären Dystopien, die ab den 50er Jahren in Schüben auftauchten, zahlreiche der von Crouchs beschriebenen Mechanismen vorweggenommen. In den berühmten Ökodystopien der 70er Jahre wie »Logan’s Run« oder »Soylent Green« sicherte das System das Überleben der Menschheit in einer Welt mit knappen Ressourcen durch radikale Methoden. Die Filme trafen dabei den Zeitgeist und den Geschmack der durch Ölkrise und die Studie »Die Grenzen des Wachstums« verunsicherten Zuschauer. Die 80er dominierten dann eher postapokalyptische Einzelkämpfer-Szenarien à la »Mad Max« (der die 80er 1979 quasi einleitete) oder »Escape From New York«, während in den 90ern das systemische Element in Filmen wie »Demolition Man«, »Gattaca« oder »Judge Dredd« wieder verstärkt eine Rolle spielte.

In den letzten 15 Jahren übernahmen dann nicht nur in der Realität die postdemokratischen Elemente, sondern auch im Film tauchte wieder vermehrt der Leviathan auf. Ganz im Sinne Thomas Hobbes übergeben die Bürger diesem krakenhaften Überstaat einen großen Teil ihrer Freiheit, um im Gegenzug etwas zu bekommen. In »Equilibrium« sichert das System seiner Bevölkerung einen hohen Lebensstandard und schützt sie vor (privaten) Gewalttaten. In »Minority Report« gibt es dank dem Pre-Crime-System keinen Mord und Totschlag mehr. In »Aeon Flux« sichern die Machthaber durch Klonen das Überleben der Menschheit, während die britischen Polizeistaaten in »Children Of Men« und »V wie Vendetta« in einer untergehenden Welt ein Grundmaß an Ordnung versprechen.

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