Im Zeitalter des Kitsch

Wien füttert seine Souvenirläden und Museumsshops mit Retro-Kitsch, mit Jugendstil, Hundertwasser und Sissi. Vom alten und vom neuen Kitsch-Design der Stadt.

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In Wien tobt der Kitsch, im größten Freilichtmuseum der Welt, wie man so sagt. Der Wiener Tourismus blüht, Design-Wettbewerbe für Souvenirs werden veranstaltet und die Mozartkugel wurde re-designed. Im modernen Souvenir gipfelt, was längst zum allgemeinen Trend geworden ist: Kitsch ist erstarrter Kult. Plastik-Miniaturen wilder Tiere, Vintage-Fotos vom Flohmarkt und Gartenzwerge neben Klimt, Mozart und Sissi … Aber ist jedes Souvenir gleich Kitsch?

Natürlich nicht. Und natürlich betrifft dieses Phänomen nicht nur Wien, aber seine Geschichte und Architektur laden zur Kitschproduktion geradezu ein. Jugendstil, Biedermeier, romantische Dichter und selbst die krude Vorstellung auf Freuds Cheselon eine Seelentherapie zu empfangen, aber auch der Umstand, dass Wien als Hauptstadt des zweitgrößten Imperiums in Europa als überdimensionierte Provinzhauptstadt keine Strahlkraft mehr hatte, das verleiht Wien eine Retro-DNA. Die klassischen Souvenirs „spiegeln ja doch adäquat das Feeling der Stadt wieder“, meint deshalb Christian Krisper, Manager des MQ Point Design-Shops.

Der neue Kitsch

„Wien um 1900“ ist hier das Stichwort – der Beginn populärer Unterhaltungskultur und kommerzieller Freizeitindustrie. In Wien war sie ganz groß: Wiener Kaffeehäuser, Strauß arrangierte Symphonien in kurzweilige, tanzbare Sätze um und Kunstsammler stellten ihre Werke in öffentlich zugänglichen Museen aus für die neue Erlebnis-hungrige und zahlungsfähige Bürgerschaft.

Und heute: Motive früher Populärkultur wie auch der sog. „hohen“ Kunst werden zu Dekorationen verkleinert, werden nicht mehr allzu ernst genommen. Der neue Kitsch in den Museumsshops unterscheidet sich von der Klimt-Tasse insofern, als dass er sein Original nicht mehr anbetet. Vielmehr geht es darum, Kitsch Kitsch sein zu lassen, um sich ironisch darüber lustig zu machen – frei nach dem Motto, je kitschiger, desto cooler.

Retro-Kitsch

Dabei könnte Kitsch fast jedes Ding treffen, Kitsch ist eine Verkleinerung, Verniedlichung, oft um sentimental und witzig zu sein. Schloss Schönbrunn, Jugendstil und Sissi galten zu ihrer Zeit natürlich nicht als kitschig. Auch Retro bezieht sich auf Gegenstände und Ideen, ohne ihre komplexen gesellschaftlichen Kontexte zu beachten. Seine Nostalgie kommt der Kitsch-Sentimentalität recht nahe.

„Kitsch ist immer das Ende von der Kette“, sagt Consuella Kunz, die für Einkauf und Produktion im Leopold Museumsshops zuständig ist. „Kitsch ist Erfahrung aus zweiter Hand, vorgetäuschte Empfindung“, schrieb auch der Kunstkritiker Clement Greenberg 1939. Aber jedes Paradigma findet irgendwann sein Ende. Während Ottmar Hörls „Zwerg mit Hitlergruß“ oder Stefan Strumbels Heimat-Verkitschungen den Kitsch selbst verlustigen, werden Hundertwassers „Kringelbilder“ (Die Zeit) und Klimts Farbmeere verehrt, obwohl sie tausendfach reproduziert werden; oder gerade weil sie dadurch so bekannt wurden. Selten haben Leute gute Argumente, warum beide als gute Kunst gelten.

Kitsch-Design

Nach der Kunst selbst, sind sich Kunst und Kitsch, Design und Deko nirgends so nahe wie im Museumsshop. Manche Wiener Museumsshops finden allerdings eine clevere Lösung, dem Kitsch bereits im Konzept zu entfliehen: als Design Shops. Mit den üblichen Bildern hat etwa der MAK-Design-Shop nichts zu tun. Hochwertige Design-Produkte österreichischer und internationaler Designer werden hier vielmehr kuratiert als feilgeboten. Miniaturen kommen nicht auf den Ladentisch, denn "der Maler wollte ein Bild, ein Kunstwerk schaffen und nicht Handelsware. Wenngleich ich es persönlich ablehne, Motive, die auf ein Gemälde gemalt sind, auf ein T-Shirt abzudrucken", so die Leiterin des Shops, Ewa Esterhazy.

Etwas Kitsch-freundlicher geht es Christian Krisper vom MQ Point an: gewöhnliche Souvenirs werden durch Label-Designer aufgewertet oder aber etwas ist „so jenseitig kitschig, dass es wieder gut ist“, wie z.B. Postkarten des Labels "Das Goldene Wiener Herz".

Bild(er) © Christian Krisper, Yara Weiss, Schuh&Kunz, MAK Shop MAK/Katrin Wißkirchen, Das Goldene Wiener Herz
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