Im Schatten von Miró

Wo Nation Branding entsteht, kann der Designer nicht weit sein. Christian Rau und Lukas Weber, zwei junge deutsche Grafikdesigner, haben sich intensiv mit dem Thema »Nation Image« auseinandergesetzt.

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Mit welchen Abbildern von Nationen haben Sie sich beschäftigt?

Lukas Weber: Wir haben die drei bekanntesten grafischen Darstellungsformen von Nationen untersucht: Hoheitszeichen bzw. Wappen, Landesflagge und Tourismusmarke. Alle drei Bildzeichen verfolgen einen unterschiedlichen Anspruch. Hoheitszeichen und Wappen sieht man in einem eher politischen und staatlichen Umfeld, auf behördlichen Dokumenten, Reisepässen etc. Landesflaggen sind eher neutral und die Tourismusmarken verfolgen meist einen werblichen Zweck. Teil unserer Untersuchung waren auch die Darstellungen der Länder im politischen Umfeld, mit deren politischen Repräsentanten bei Großveranstaltungen wie G20 und G8-Gipfel, Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften. Der richtige Titel für die Untersuchung wäre eher die visuelle Aufarbeitung von Nation Image anstelle von Nation Branding. Nation Branding ist zumeist ein marketing-strategischer Prozess – mit dem Ergebnis Tourismusmarke bzw. Tourismuslogo, einem dazugehörigen Claim, passender Bildwelt.

Welches Land hatte denn das erste relevante »Nation Image«?

Lukas Weber: Spanien. Man hat mit Joan Miró einen bedeutenden spanischen Künstler mit der Gestaltung des Logos beauftragt, der die Charakteristik und Tonalität des Landes sehr gut in ein Bildzeichen übersetzen konnte. Natürlich waren auch die zeitlichen Begleitumstände bei der Einführung sehr förderlich – 1992 fanden in Barcelona die Olympischen Spiele und in Sevilla die Weltausstellung statt. In Kombination mit der Begeisterung und Identifikation der Bevölkerung haben viele dieser Faktoren es geschafft, ein bis dahin nicht sehr rühmliches Bild ins Positive umzukehren. Von diesem Imagewechsel profitiert Spanien nach wie vor und wirbt seit nunmehr 20 Jahren mit Mirós Bildzeichen. Das schafft ein authentisches Bild des Landes, Glaubwürdigkeit in der Welt, Begeisterung und Wertschätzung. Das Bild des Landes stimmt, abgesehen von der Wirtschaftskrise, inhaltlich und formal überein. Genau dies ist auch der Schlüssel zum Erfolg.

Gibt es neuere Beispiele, die besonders gelungen sind?

Lukas Weber: Ein recht aktuelles Beispiel ist der Markenauftritt von Peru. Hierbei setzt sich das »P« des Schriftzuges im Logo aus einer Spiralform zusammen, einem grafischen Motiv, das sich in vielen Kulturen Perus wiederfindet und sinnbildlich für Evolution, Veränderung und Transformation steht. Die Wortmarke selbst ist handschriftlicher Natur. Insgesamt ist es ein sehr simples, einprägsames und äußerst positives Zeichen, was sehr gut in die Schnittstelle zwischen abstrakter und konkreter Bildhaftigkeit trifft.

Doch es gibt auch viele Nationen, die auf Klischees setzen, oder es klafft ein Loch zwischen Realität und Brand?

Lukas Weber: Es gibt in vielen Fällen gute Ansätze, die dann aber scheitern. Als Negativbeispiele fallen mir konkret die Kampagnen einiger afrikanischer Staaten wie Uganda, Simbabwe oder Nigeria ein. Da wird den Leuten irgendwas von »Gifted by nature«, »World of wonders«, »Good people, great nation« oder sonstiger Schwachsinn erzählt. Es ist bekannt, dass die Hauptattribute dieser Länder Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, Energieknappheit und menschenunwürdige Lebensbedingungen sind. An diesem Punkt sollte man sich auch fragen, ob das Geld, das man für Werbekampagnen verpulvert, an anderer Stelle nicht besser angelegt wäre. Als formale Negativbeispiele fallen einem die ganzen mediterran anmutenden Spanien-Klone ins Auge wie z. B. Albanien, Bulgarien, Kroatien, Malta, Zypern.

Wie sieht es eigentlich mit den historischen Vorläufern von Nation Branding aus?

Lukas Weber: Es gibt vergleichbare Nationeninszenierungen in der Geschichte. Als Beispiel könnte man Frankreich nennen, das sich quasi mit jeder Republik neu erfunden bzw. neu inszeniert hat. Jeder Regimewechsel brachte neue Symbole mit sich und jeder Autokrat – ob es Napoleon oder ein anderer war – hatte ein exzellentes Gespür und klares Verständnis dafür, welche Strahlkraft Zeichen und politische Symbole haben und wie diese Bilder ein Volk beeinflussen und mitreißen können – im positiven, wie auch im negativen Sinne, siehe Swastika und Nationalsozialismus.

Was mit den meisten neuzeitlichen und kurzlebigen Tourismusmarken erreicht wird, ist absurderweise genau das Gegenteil, da viele Zeichen inhaltslos und uniform daherkommen.


Muss die grafische Umsetzung eigentlich zwangsläufig mit den Nationalfarben oder mit Klischees arbeiten?

Lukas Weber: Mit einem Klischee bzw. einem landestypischen Bild zu arbeiten, macht die Sache konkreter und einprägsamer. Das ist wichtig, um Länder einzuordnen, verstehen und voneinander zu differenzieren zu können. Allerdings sollte man immer wieder überprüfen, inwieweit Stereotypen mit den Interessen des Landes einhergehen.

Sich gänzlich von einer bestehenden, teils über Jahrhunderte gefestigten Bild- und Farbwelt zu lösen, ist wahrscheinlich nicht möglich. Die Landesfarben sind ein guter Startpunkt für die Ausgestaltung einer Nation. Wenn man die Tourismusmarken der Länder gegenüberstellt, fällt auch schnell auf, dass sie zum Großteil sehr farbenfroh und eher bildhaft daherkommen, als dass sie z. B. nur rein typografisch umgesetzt sind.

Welche Rolle kommt dem Grafikdesigner beim Nation Branding zu? Und welche Verantwortung trägt er?

Christian Rau: Das hängt einerseits vom Gestalter und seinem Selbstverständnis in einem stark politisch beeinflussten Branding-Prozess ab, andererseits vom jeweiligen Auftraggeber und der Bereitschaft der Entscheider, das Image ihrer Nation durch einen Kommunikationsdesigner prägen zu lassen. Kommunikationsdesigner sind in der Lage, greifbare Elemente, also Symbole, Farben und Stil, als auch nicht greifbare Elemente wie Werte, Kultur und Ausdrucksweise eines Staates zu einem für jedermann verständlichen Gesamtbild zu formen. Viele Beispiele lassen erkennen, wo ein »Grafikbeamter« lediglich an der Umsetzung beteiligt war, oder wo – häufig lokale – Gestalter etwas erschaffen haben, das in Form, Farbe, Typografie, Grafik- und Bildsprache ein stichhaltiges und schlüssiges Erscheinungsbild produziert hat.

Heutzutage haben sicherlich große, weltweit agierende Branding-Agenturen oder Stardesigner und Strategen mehr Einfluss in solchen Prozessen. Ein einfaches Re-Design, nur um einen Staat moderner und attraktiver wirken zu lassen, ist jedenfalls keine gute Grundlage für eine ernstzunehmende Kampagne. Die eigentliche Verantwortung des Designers besteht darin, für die unterschiedlichen Kommunikationsaktivitäten eines Staates eine visuelle Klammer zu finden. Man sollte vorsichtig bei der bloßen Adaption von Konzepten aus der Kommunikationsbranche sein, um nicht versehentlich ausschließlich Corporate Branding-Muster auf das Branding eines Staates zu übertragen. Schließlich ist ein Staat nicht die von Wally oft zitierte »Büchse Bohnen«, sondern besteht aus einer Vielzahl von Individuen, die keine einheitliche Sprache sprechen.

Ist es nicht bis zu einem gewissen Grad auch eine Hybris, das Wesen eines ganzen Landes in eine visuelle Botschaft übersetzen zu wollen?

Christian Rau: Der visuelle Part des Nation Branding unterliegt gewissen Trends. Man schaue sich dazu nur die Vielzahl der bunten und austauschbaren Tourismuslogos an. Da geht es um eine Standardisierung der Kommunikation von Ländern. Es ist also keine Hybris, sondern der Versuch, in unserer Konsumkultur gegenüber neuen Formen transnationaler, sozialer und politscher Organisationen wie z.B. der Europäischen Union konkurrenzfähig zu bleiben. Ob es jedoch dazu beiträgt, neue Formen der Identifizierung und des sozialen Zusammenhaltes zu erlangen, ist umstritten.

»Good people – great nation«: So lautet nicht nur der Claim von Nigeria, sondern auch die Abschlussarbeit von Christian Rau und Lukas Weber an der FH Mainz / Department Design. Die beiden Grafikdesigner haben vor Kurzem in Frankfurt das Büro Made In gegründet, einen guten Einblick in ihre Arbeit zu Nation Branding erhält man unter www.great-nation.org

Zum Coverschwerpunkt Nation Branding inkl. Coverstory, Leitartikel, Golden Frame, Olympische Spiele London 2012, Logodesign, The Hobbit, usw. geht es hier:

www.thegap.at/nationbranding

Bild(er) © Christian Rau, Lukas Weber
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