Gulasch mit viel Saft

St. Pölten hat keinen Ruf zu verlieren. In Sachen Theater lässt es Wien sogar als das wahre Provinznest dastehen.

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Zu jeder Landeshauptstadt hat man ein Bild präsent. Von Salzburgs überfüllter Altstadt über Klagenfurts altmodischen Drachen bis zu Wiens Ticket-Keiler im Mozart-Kostüm. Nur bei St. Pölten hört die kulturelle Assoziationskette auf. "Warum ich in St.Pölten wohne, obwohl St. Pölten ja St. Pölten ist". Der Titel dieser wirklich häufig gelesenen Blogstory von Dominik Leitner ist eine Liebesgeschichte an die Stadt. Eine Geschichte, die die örtliche Touristik nur allzu gern selbst geschrieben hätte. Die Stadt existiert nämlich unter der Wahrnehmungsschwelle. Trinkwütige Jugendliche, die in Wien ihren Hormonüberschuss auslassen, viel mehr kann es dort ja nicht geben. Außer halt Theater von Weltformat.

Floridsdorf darf nicht Niederösterreich werden

Abgerundet wird dieses eher ungenaue, aber triste Bild von einer oft gehörten Non-Urban-Legend: Freunde von Freunden hätten um acht Uhr abends nichts mehr zu trinken bekommen, wären fast verdurstet wegen der hochgeklappten Gehsteige. Nun, wenigstens dieses Gschichtl ist schnell zu entkräftigen: Im zentral gelegenen Narrenkastl gibt es seit mehr als einem Vierteljahrhundert täglich (außer an Sonn- und Feiertagen) bis 4 Uhr früh Flüssiges und außerdem das angeblich beste Gulasch St. Pöltens.

Überhaupt spielt Gulasch eine wichtige Rolle in der Geschichte Niederösterreichs: Seit dem Mittelalter hatte das flächenmäßig größte Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt, Regierung und Verwaltung waren in Wien stationiert. Öfters gab es Versuche, diesen Zustand zu ändern – Ende des 19. Jahrhunderts wäre beinahe Floridsdorf zur Landeshauptstadt geworden – dies wurde jedoch mittels zügiger Eingemeindung durch die Stadt Wien verhindert.

1986 war es dann endlich so weit: Der schwarze Landeshauptmann Siegfried Ludwig initiierte eine Volksbefragung, die durch den lässigen Spruch "Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft" getragen wurde. Bei sensationell hoher Beteiligung stimmten dann auch 56 Prozent der Befragten für eine eigene Landeshauptstadt und erkoren St. Pölten zu ihrer Wunschhauptstadt.

Achtung, Fußgänger

1997 erfolgte schließlich der Umzug des gesamten Beamtenapparats vom altehrwürdigen Palais in der Herrengasse in das frisch aus der Erde gestampfte Regierungsviertel. Von Ernst Hoffmann geplant, gilt das Landhausviertel als ein vorbildlich realisiertes Mammutprojekt – was die Einhaltung des Finanzierungs- und Zeitplans betrifft. Über die ästhetische Gelungenheit lässt sich trefflich streiten.

Unbestritten ist hingegen, dass der an der Traisen gelegene Komplex, der im angrenzenden Kulturbezirk auch das Festspielhaus, das Landesmuseum, einen "Klangturm" und die Landesbibliothek beherbergt, bis zum heutigen Tag ein Fremdkörper geblieben ist.

Exemplarisch ist hierfür die Geschichte des Café Publik: Im Jahr 2009 begann man unter der künstlerischen Leitung des Bauchklang-Mitglieds Andreas Fränzl das Einlegerlokal des Festspielhauses kulinarisch und kulturell zu bespielen. Klingende Namen wie Ja, Panik, Elektro Guzzi, König Leopold oder Gudrun von Laxenburg hatten hier Auftritte. Doch Mitte 2013 musste man die Segel streichen.

Trotz der bitter benötigten Aufwertung des Nachtlebens verirrten sich zu wenige Menschen in den in sich geschlossenen Gebäudekomplex. Nicht verwunderlich bei einem Bauwerk, dass so wirkt als sei es nicht für einheimische Fußgänger, sondern eher für motorisierte Pendler erbaut: Mehr als eintausend Parkplätze stehen in Österreichs größter Tiefgarage zur Verfügung, über die nahe Bundesstraße kommt man direkt zur Autobahn.

Die Welt zu Gast

Die Verkehrsfreundlichkeit entpuppte sich jedoch für das Festspielhaus als Vorteil. Das von Klaus Kada geplante Musiktheater schwankt architektonisch irgendwo zwischen Messehalle und Kreuzfahrtschiff und hat durch die Unauffindbarkeit des Eingangs sicher schon den einen oder anderen potentiellen Besucher vergrämt. Umso dramatischer, als es hier 1.000 Sitzplätze zu füllen gilt – mit heimischen Publikum sehr schwer möglich und auch so eine Herkulesaufgabe. Die derzeit allerdings von Intendantin Brigitte Fürle mit einer Auslastung von zuletzt knapp 90 Prozent bravourös gemeistert wird. Vor allem die hochkarätigen internationalen Gastspiele ziehen die Wiener an: Zur Saisoneröffnung stand etwa die berühmte Zauberflöten-Inszenierung aus der Hand von Barrie Kosky auf dem Programm und die Kultur-Schickeria der Hauptstadt machte sich auf den Weg in die vermeintliche Provinz.

Bild(er) © Illustration: Paul Sturminger; "Es sagt mir nicht, das sogenannte Draußen" Gorki Theater – Fotos von Thomas Aurin
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