Yorick, der Dritte

Philipp Hautmann exhumiert in seinem ersten Roman einen alten Bekannten. Eine abenteuerliche Geschichte.

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Wenn ein Autor sein erstes Buch vorlegt, ist es meist sorgfältig dem aktuellen Literaturbetrieb angepasst. Unschwer ist ja herauszufinden, welche Themen Verlage, Kritiker und Leser derzeit bevorzugen. Deshalb gibt es bei der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nur selten wirkliche Überraschungen. Philip Hautmann ließ sich beim Verfassen seines Erstlings nicht von solchen schnöden Überlegungen leiten. Sein »Yorick. Ein Mensch in Schwierigkeiten« ist ein sehr ambitioniertes Buch, das sich erfolgreich dagegen sperrt, in eine der gängigen Schubladen gesteckt zu werden. Beim ersten Aufschlagen erfährt man, dass es sich um ein Hybridbuch handelt. Viele Seiten sind unten mit grafischen Markern ausgestattet, die man mit der auf der Verlagsseite herunterladbaren Software (Mac only!) scannen kann.

Kennenlernen in drei Teilen

Wer mit der Weltliteratur vertraut ist, der denkt bei Yorick nicht nur an den berühmten Totenschädel in Shakespeares »Hamlet«, sondern auch an den gleichnamigen Pfarrer in Laurence Sternes furiosem Klassiker »Tristram Shandy«. Hautmanns Yorick teilt mit dem berühmten Vorbild nicht nur die Spottsucht. Beide bringt ihre Scharfzüngigkeit in diverse gesellschaftliche Schwierigkeiten. Im ersten der drei Teile lernen wir den neuen Yorick ausführlich kennen und begleiten ihn auf seine Konversationsabenteuer. Seine gesellschaftlichen „Auflockerungsversuche“ sind jedoch nur selten von Erfolg gekrönt, obwohl der geistige Gehalt vieler Äußerungen durchaus Substanz hat. Insofern erfüllt Yorick ein klassisches Intellektuellenklischee: Unbeholfen im Leben, aber ein passabler Denker. Yoricks Bekanntenkreis besteht aus jeder Menge seltsamer Gestalten, die einem trotz (oder wegen?) der satirischen Überzeichnung sehr bekannt vorkommen. Der bei seiner Vernissage seine Zuseher zu Tode langweilende Gegenwartskünstler. Die selbst ernannte Psychoanalytikerin. Der provokative Anti-Gutmensch. Kurz, Hautmann lässt eine Reihe mehr oder weniger durchgeknallter Bobos mit hohem Wiedererkennungseffekt auf seine Leser los.

Im zweiten Teil bricht Yorick ins reale Leben auf und sucht »einen sogenannten Beruf«. Die Berufswelt wird daraufhin aus verschiedenen Blickwinkeln bloßgestellt. Einer der komischen Höhepunkte des Romans ist Yoricks Intermezzo in einer Unternehmensberatung. Sein erster Auftrag lautet, er möge ein Konzept entwickeln, wie die skandalgebeutelte katholische Kirche wieder mehr Mitglieder gewinnen könnte. Yorick schreibt daraufhin eine im Buch ausführlich abgedruckte Abhandlung über das Wesen von Religion. Dieser Exkurs ist eine ebenso präzise Zusammenfassung der Sachlage wie die späteren Ausführungen Yoricks über den Neoliberalismus. Letztere bringt ihm eine Einladung in den Club der Milliardäre und die Bekanntschaft des reichen Jim John Mearsheimer, dessen zahlreiche ausufernde Monologe (Achtung: Thomas-Bernhard-Alarm!) den zweiten Teil beschließen und ein trotz aller Satire aufschlussreiches Psychogramm ergeben. Die Kindheit und Jugend der Psychotherapeutin Sabine steht im Mittelpunkt des dritten Teils. Selbstverständlich eingerahmt und unterbrochen von zahlreichen anderen Abschweifungen und abgerundet durch die seltsame Beziehung Sabines mit dem Großunternehmer Pierce Inverarity (Achtung: Thomas-Pynchon-Alarm!).

Eines der unzähligen Projekte Yoricks besteht darin, einen großen Roman zu schreiben. Er schickt das umfangreiche Manuskript an die »größten und renommiertesten Verlage« und erläutert: »Schnell werden Sie bemerken, dass die Angelegenheit herkömmlichen Erzählstrategien sich verweigert sowie herkömmlicher Muster und Versuchen literarischer Deutung und Hermeneutik sich entzieht.« Es ist natürlich kein Zufall, dass dies auch auf Hautmanns »Yorick« zutrifft, wobei diese Deutungsverweigerung als ästhetische Strategie sehr wohl zu identifizieren ist. Man könnte natürlich schnell den ebenso beliebten wie ausgebleichten Aufkleber »postmoderner Roman« auf das Buch kleben. Dafür sind aber einige der Themen wie Neoliberalismus oder nationalsozialistische Erschießungskommandos nicht beliebig genug. Hautmann selbst bevorzugt die Bezeichnung „Anti-Roman“ (siehe Interview).

Esoterik, Feminismus, Schwarze Löcher

»Yorick« ist insofern der Versuch eines enzyklopädischen Gegenwartsromans, als er mit einer riesigen Menge an Themen angefüllt ist. Zu den bereits erwähnten kommen noch Esoterik, Verschwörungstheorien, Feminismus, Kosmologie, schwarze Löcher, Quantenphysik, Ameisenstaaten und anderes mehr hinzu. Die meisten dieser Passagen sind voller Witz und mit treffsicherer Ironie geschrieben. Durch die episodische Struktur wird die Fülle der Themen im Text auch gut gebändigt. Zusätzlich gibt es für literarische Rätselfreunde jede Menge Anspielungen zu erkunden. Hautmann interessiert sich ausschließlich für die Erlebnisse seiner Figuren und für intellektuelle Fragestellungen. Eine Konsequenz davon ist, dass er auf jegliche detaillierte Beschreibung der Handlungsorte verzichtet. Im Vergleich zu einem realistischen Roman sind Zeit und Raum also stark unterdeterminiert, was beim Lesen einen etwas diffusen Eindruck hinterlässt.

Ähnliches gilt auch für die Makroebene des Buches. Zwar sind die drei Teile durch eine Reihe von Bezügen untereinander verknüpft, es bleibt aber beim Leser ein gewisser Eindruck der Disparatheit zurück. Anders formuliert: Je weiter man in den Roman hineinzoomt, desto besser funktioniert die ästhetische Strategie. Das Schreiben guter Literatur setzt immer eine hohe Risikobereitschaft voraus. Mehr Autoren wie Philip Hautmann, welche das Wagnis eingehen, die ausgetretenen literarischen Trampelpfade zu verlassen, wären der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dringend zu wünschen.

Philipp Hautmanns »Yorick« ist im Trauma Wien Verlag erschienen.

www.traumawien.at

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