Street Art? Urban Art? Muralismo?

Was an der nächstbesten Hausmauer mit Marker oder Spray hingemalt wird, mag mitunter niemanden beeindrucken. Was aber der wahre Street Art-Profi schafft, lässt staunen.

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Die Fläche ist Medium, das Bild Botschaft: Angepinselte und besprühte Züge, Hauswände oder sonstige Mauern gehören fast weltweit zum städtischen Alltag. Die Skala reicht vom dilettantischen Gekritzel bis hin zu großformatigen und künstlerischen Bildern. Vom illegalen Anbringen bis zum Bemalen freigegebener Flächen. Von Underground bis Kommerzialisierung. Wien ist da nicht anders, wie Kollege Gotthardt unlängst in seiner Coverstory festgestellt hat.

Mit dem qualitativ obersten Bereich der Ausdrucksform beschäftigt sich der farbenprächtige, großformatige und englischsprachige Bildband „Whispering Walls“ der französischen Filmemacher und Fotografen Dominique Rabotteau und Frédéric Soltan. Soltan begann Anfang der 1970er im vor dem Abriss stehenden und deswegen sehr verzierten Markt im Quartier des Halles eine ihm neue Kunstform zu fotografieren und dokumentieren: Urban Art, Street Art oder auch Muralismo. Das war wohl der Beginn einer Leidenschaft, denn wo immer die beiden später zur Arbeit hinfuhren, haben sie quasi nebenbei mit dem Fotoapparat draufgehalten. Daraus entstand dann dieser Bildband.

Die in sechs Themenblöcken gesammelten über 500 Abbildungen aus nahezu allen Ecken der Erde haben als verbindende Klammer einen meist politischen oder sozialen Kontext: Es geht um den bewaffneten oder unbewaffneten Kampf gegen Unterdrückung und für Freiheit, gegen Missstände und für Gerechtigkeit – kurzum um das Streben nach einer besseren Welt, wie immer diese aus der Sicht der Künstler auch aussehen soll. Abseits einer kurzen Hinleitung der beiden Autoren zum Thema kommt der Band mit sehr wenig Text aus – und das ist auch gut so. Bildunterschriften (wer, was und wo), sehr kurze Biographien und/ oder Zitate der Porträtierten und/ oder kurze Hintergrundinfos zu den dargestellten Situationen liefern Erklärungen und/ oder Interpretationshilfen. Mehr braucht es auch nicht – die farbenprächtigen Bilder sprechen großteils für sich.

Helden, Kampf, Gewalt

Der erste Themenblock „Fighters“ präsentiert bekannte und weniger bekannte ausschließlich männliche Idole oder vermeintliche Idole: Mandela, Castro, mehrmals Che, Trotzki, Martin Luther King. Gandhi, Arafat, Obama, Walesa…. „Women“ beschäftigt sich mit dem Kampf um Frauenrechte, Gerechtigkeit, Präsenz von Frauen im politischen Kontext oder Einzelpersonen (ein besonders interessanter Fall ist die palästinensische Selbstmordattentäterin Ayat al-Akhras). „Violence“ zeigt Szenen aus Belfast, Arbeiten zu den Terroranschlägen in Mumbai, Kindersoldaten, die spanische Eroberung Amerikas, Todesopfer von Bandenkriegen…. In eine ähnliche Kerbe schlägt „Social struggles“. Bilder von Göttern und Göttinnen, Heiligen, Jesus und Maria („Beliefs“) und Zukunftsvisionen („And tomorrow“) runden den Band ab.

„Whispering Walls“ funktioniert auf zwei Ebenen: Auf der grafischen erfreuen die großformatigen und bunten Abbildungen, in denen meistens auch ein immenser Detailreichtum zu entdecken ist. Das Buch ist aber weit mehr als ein Bilderbuch – es erzählt auch Geschichte(n): Fast zwangsläufig verliert man sich in der Recherche, wann das mit der Nelkenrevolution in Portugal gewesen ist, ob Margaret Thatcher nun eine Hexe war oder nicht oder was genau denn eigentlich Malcolm X gemacht hat.

Dem Buch liegen drei CDs bei, deren Interpreten für ihr soziales Engagement bekannt und deren Stücke auf die Bilder abgestimmt sein sollen. Um den Bildband genießen zu können, braucht man die Musik nicht unbedingt. Aber für eine anschließende Weltreise im Kopf sind die unter „World Music“ einzuordnenden Beiträge recht nützlich…

"Whispering Walls" (Edel Verlag) ist bereits erschienen.

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