Gewalt – Eine Laune der Welt

Dieses Buch richtet sich nicht an Weiße. Es hat kein Happy End. Es ist nicht ausgewogen und dennoch ein wichtiges Rüstzeug – auch für eine europäische Rassismus-Debatte.

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Ferguson, Baltimore, Charleston — Ein Grund, dass uns diese Städte ein Begriff sind, ist die Gewalt, die sich dort zugetragen hat. Geschichten vom skrupellosen Vorgehen der US-Polizei gegen junge schwarze Männer und die Massenerschießung schwarzer Kirchgänger durch einen 21-jährigen Rechtsextremisten ankern in den Namen dieser Orte. Die Reaktion der afroamerikanischen Bevölkerung auf die Polizeigewalt hieß dann in deutschsprachigen Medien »Rassenunruhen« und sie führte zu einer Debatte um Rassismus, nicht nur, was die Polizei angeht, sondern innerhalb der gesamten US-amerikanischen Gesellschaft. Das ist das Fundament, auf dem das Buch des Atlantic-Kolumnisten Ta-Nehisi Coates zum Bestseller wurde.

In »Zwischen mir und der Welt« wendet sich der Autor an seinen 14-jährigen Sohn und erklärt ihm die Aufteilung jener Welt, wie er sie erfahren hat. Auf der einen Seite stünden weiße Amerikaner, die hinter ebenso weißen Gartenzäunen in Vororten leben, ignorant gegenüber der Tatsache, dass ihr Status auf der Gewalt basiert, die ihre Vorfahren schwarzen Menschen angetan haben. Auf der anderen Seite des Zaunes verortet Coates sich selbst, seinen Vater, seinen Sohn und alle anderen Schwarzen. Sie, so schreibt er, seien Zeit ihrer Existenz von einer tiefen Angst vor einer Verletzung ihrer körperlichen Integrität durch Weiße beherrscht. Seinem Sohn, der weint, weil der Polizeibeamte, der im August 2014 den unbewaffneten 18-Jährigen Michael Brown erschoss, nicht angeklagt wird, spendet er keinen Trost. Für ihn ist der Fall exemplarisch für strukturellen Rassismus, für eine dem System immanente Ungerechtigkeit, mit der sein Sohn zu leben habe, denn er glaubt nicht an Veränderung in absehbarer Zukunft.

Black Panthers und Unterdrückung

Coates wuchs als Sohn eines Regionalführers der Black Panther Party, eine in den 60ern entstandene Bewegung des schwarzen Nationalismus, in Baltimore auf. Seine ersten persönlichen Bekanntschaften mit Weißen machte er an der Universität, die er sein persönliches Mekka nennt. Der autobiografische Blick, den Coates auf diese Jahre des Erwachsenwerdens wirft, konzentriert sich auf die Hackordnung auf der Straße. In einer fragilen Welt voller Morde, in der jeder jemanden kennt, der durch Schießereien, Drogen oder auf andere unnatürliche Weise zu Tode gekommen ist, quält ihn die Frage nach dem Warum. Warum gibt es keine Gerechtigkeit für Schwarze in Amerika?

Er liest Malcolm X, erhebt ihn zu seinem Helden, verurteilt die Schulen, die sein innerliches Aufbegehren in friedlichen Protest lenken wollen als Scheinheilige und Lügner. Wieso predigt man ihm Gewaltfreiheit in einer Welt, in der Gewalt das Definitionsmonopol über seine gesamte Umgebung hat, will er als junger Mann wissen. Erkennend, dass sein Sohn in anderen Verhältnissen, wenn auch nicht befreit von alledem aufwächst, mahnt er ihn, die Toten, die Versklavten und Unterdrückten niemals zu vergessen und schreibt, gewaltsame Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung sei »die Laune des Landes« und eine historische Tradition.

Kein Gandhi, kein Obama

Und was sollen nun wir mit diesem Buch, das sich eindeutig nicht an Weiße richtet? Spricht die Nobelpreisträgerin Toni Morrison von »Required Reading«, wie sie es bei Coates tat, so birgt das einen gewissen Imperativ für die lesende Welt. Man erwartet erst, dass der Autor Advokat der Veränderung, der Stärkung Menschenrechte ist und in Zeiten, in denen Medien von »Rassenunruhen« sprechen, konstruktive Auswege aufzeigt. Stattdessen ist es ein schwieriges, ein beklemmendes und unbequemes Buch, das sich nicht vor unpopulären Meinungen scheut, oder davor, menschlichen Emotionen wie Angst, Wut und den Impuls, sich gewaltsam gegen Unrecht zu wehren, Ausdruck zu verleihen. Im Gegensatz zu Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten seines Landes, predigt er nicht Empathie und Gewaltfreiheit. Er provoziert, generalisiert, führt auch Morde, die von Schwarzen an Schwarzen begangen wurden, auf strukturellen Rassismus in den USA zurück.

Weiter zu kollektiver Schuld, Happy End (gibt es nicht) und Rüstzeug für die Rassismusdebatte.

Bild(er) © 1-4: Beyonce via Youtube, 5-6: Creative Commons
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