Die Waffen wieder

"Wie das eben so ist in der Provinz: Man kennt die Nazis" – Metal-Sänger und langjähriger The Gap-Autor Alexander Lippmann begibt sich in seinem ersten Krimi "Sumpfwandertag" ins linksextreme wie ins rechtsextreme Milieu. Ein E-Mail-Interview über Ottakringer Hungerrevolten, Waldviertler Neonazifestivals und sein eigenes Kleinbürgertum.

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Es gibt da diese bescheuerte Frage, die Politikern oft gestellt wird, wie weit links oder rechts der Mitte sie wären, auf die diese dann oft mit "3 Zentimeter" oder "20 Meter" antworten. Ich adaptiere sie jetzt auf das Setting deines Romans: Wie weit weg ist es denn vom politischen Status quo der österreichischen Gegenwart entfernt?

10 Schritte nach rechts. Wenn überhaupt. Rechtsradikale an wichtigen Positionen? Haben wir. Neonazis, die Waffen horten? Klar: Objekt 21. Gerichtsverfahren, die Freiheitsrechte der Opposition einschränken? Auf jeden Fall. Frag nach bei Josef. Natürlich haben wir nicht den gleichen Grad an offener Gewalt in den Straßen wie in Istanbul, Athen oder in der ungarischen Provinz, aber das liegt auch daran, dass uns die aktuelle Krise noch nicht ganz so hart gepackt hat wie diese Länder. Es gibt natürlich keinen Automatismus der Geschichte, aber man vergisst als "gelernter Österreicher" schon ganz gern, dass es auch hier auf unserer gemütlichen "Insel der Seligen" Revolten und Bürgerkrieg gegeben hat und wieder geben kann. Man erinnerst sich lieber an den Staatsvertrag als an den Februar 1934, man liest mehr über die Kaffeehauskultur im "alten Wien" als über die Hungerrevolten 1911 in Ottakring.

Auch wenn ich über Ungarn ehrlicherweise recht wenig weiß, musste ich beim Lesen manchmal an das denken, was man über die dort herrschenden Verhältnisse so hört.

Das hat bei der Entwicklung des Settings sicherlich mitgespielt. Der Aufstieg faschistischer Bewegungen wie der Jobbik oder auch der Goldenen Morgenröte in Griechenland machen für mich sehr deutlich, dass gewaltbereiter Rechtsradikalismus immer noch für viele eine attraktive Option ist, wenn die wirtschaftliche Lage eskaliert und sich niemand diesen Leuten in den Weg stellt.

Du bist selbst ein Science Fiction-Leser. Würdest du dein Buch selbst schon eine Dystopie nennen?

Ich denke für eine echte Dystopie weiche ich zuwenig von der aktuellen Situation ab und die Ausrichtung ist auch zuwenig "visionär". Ich verdichte, übertreibe und kombiniere bestimmte Tendenzen, aber die Spekulation über die weitere gesellschaftliche Entwicklung ist für mich nicht das zentrale Thema der Geschichte.

Dein Protagonist Hagen Steiner hat viele Jahre in der Sozialdemokratie verbracht und Reden für einen ranghohen Politiker geschrieben. Aufgrund seiner linksextremen Sozialisierung in frühen Jahren wird er als der politische Wind rauer wird von diesem fallen gelassen und verliert seinen Job. Wirklich gut kommt in deinem Buch keine politische Strömung weg und auch fast alle Charaktere haben sich irgendwie arrangiert, was du als unlauter schilderst. Besonders hart ins Gericht gehst du mit den Sozialdemokraten. Warum?

Hagen fühlt sich von der Sozialdemokratie persönlich verraten, deshalb die harsche Kritik. Ein Gefühl, das er mit vielen Linken teilt. Man kann ja nur von jemandem verraten werden, dem man auch mal vertraut hat. Niemand erwartet ernsthaft von den rechten Parteien, dass sie auf der Seite der Menschlichkeit stehen oder sich für ökonomische Gerechtigkeit stark machen. Von der Sozialdemokratie kann und muss man das aber natürlich erwarten, das ist ja ihr historisches Versprechen. Wenn sich dann herausstellt, dass die am besten organisierte Kraft der Arbeiterinnenbewegung konsequent die eigenen Leute ans Messer liefert, dann führt das natürlich zu einer besonders nachhaltigen Irritation. Insbesondere wenn man, so wie Hagen, auch noch persönlich davon betroffen ist. Und für einen Trotzkisten wie ihn geht es dabei natürlich nicht nur um Österreich oder die aktuelle Situation, sondern schon auch um unterschiedliche Konzepte linker Politik seit dem ersten Weltkrieg.

Ich gestehe, mir war der Unterschied zwischen einem Trotzkisten und einem Leninisten nicht mehr geläufig. Ich musste googlen. Was entgeht einem denn beim Lesen, wenn man über Strömungen und Spielarten der Linken nicht Bescheid weiß?

Wer sich mit dem Milieu nicht so gut auskennt, erfährt etwas Neues, wer schon damit zu tun hatte, entdeckt mit Sicherheit ein paar zusätzliche Referenzen. Für das Verständnis der Story ist das aber sicherlich keine Voraussetzung.

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Bild(er) © Nina Witjes
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