Der Krapfenmann

Literarisch hat Maria Hofer mit ihrem schmalen Roman-Debüt »Jauche« gerade das Landleben und die Mechanismen einer Dorfgemeinschaft unter die Lupe genommen. Die Steirerin kann aber auch urbaner. Für The Gap wohnt sie einer Firmenbesprechung bei und lässt ihre Figuren ordentlich abschweifen. Bügelfalten, Vanillekrapfen und Kinderwägen am Schienbein.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Der Krapfenmann

Eine Handvoll Mitarbeiter strömt aus in Richtung Besprechungszimmer. Sie haben Aktenhalter, Heftmappen, Ordner oder lose Zettel unterm Arm. Den meisten fällt irgendwann alles auf den Boden und sie klauben es relativ hastig und panisch wieder auf. Dem Peter sind seine Unterlagen aus der zittrigen Hand gerutscht, weil er mit der Anspannung im Raum nicht umgehen kann. Er ist sehr sensibel auf die Energien, die andere Leute ausstrahlen. Früher, als Kind dachte er manchmal, er kann das Wetter Kraft seiner Gedanken beeinflussen, aber davon erzählt er lieber nie was. Man muss hier in der Firma sowieso aufpassen. Vorher im Lift ist er so nahe an den anderen gestanden, dass sich ihre Nervosität und Anspannung auf ihn übertragen haben. Die Uschi ist die Schlimmste, die hat schon so nervöse Augen. Bis eben zu diesem Zeitpunkt war er auch relativ gelassen – weil er sich entsprechend vorbereitet hatte, hat er eine tiefe innere Zuversicht gehabt, bis ihm die Uschi alles über den Haufen gehaut hat. Die hat, wie viele heutzutage übrigens ihre emotionalen Kanäle nicht weit genug offen. Sie zuckt immer zurück, wenn er ihr über den Rücken fährt.

Im Besprechungszimmer: Immer wieder auf und nieder. IMMER WIEDER AUF UND NIEDER, eure Augenlieder, meine lieben Herrn und Damen. Und rausschaun tut bei euch nichts als Augäpfel. Einer wie der andere. Die Fakten liegen auf dem Tisch, liebe Mitarbeiter. Sie sind nicht so weich wie eure Kopfpölster, meine Herren. Sie kommen hoffentlich bald und heftig in ihren Kopf. Da draußen ist die Welt nichts für so Luschen. Das war schon bei den Spartanern so. Und die SPARTANER waren super. Das ist alles letztendlich eine Frage des Charakters. Ich, meine Damen und Herren, ich bin eher so der Typ: einsame Krieger. Es ist ja eh knapp vor Weltuntergang. Dann sind wir endlich alle gleich. Versprochen. Bis dahin würde ich euch bitten, euch wirklich mal ordentlich vorzubereiten (missmutig schaut er auf ein Eselsohr in Peters Unterlagen und war deswegen so irritiert, dass er beinahe den Faden verloren hätte). Er bemerkt, dass seine Hände ganz heiß werden, wenn er daran denkt, dass Peter in der früh so hochmütig den Krapfenmann gemustert hat.

Vorher noch – in der Früh: Die Rollos nach oben. Da klatschen sie. Schön, dass du auf bist. Schön, dass du aufgestanden bist. Der Tag kann dich bestimmt kaum erwarten. Auch er fährt ganz normal mit der Schnellbahn, wie auch die Damen und Herren Mitarbeiter. Darauf legt er wert. Neben der Tür steht ein Schaffner und nimmt einer Mutter mit Kinderwagen einen angenehmeren Stehplatz weg. Ab und zu stößt sie mit dem Kinderwagen gegen sein Schienbein dafür. Dann hat er auch den Staucher Peter gesehen. Er hat einen Sitzplatz und immer, wenn die Bahn in einen Tunnel fährt und dabei die Scheiben schwärzt, betrachtet er sich im Spiegel und macht was mit den Haaren. Ganz nebenbei, so, dass man das nicht unbedingt sofort bemerkt. Dann werden die Pferde gesattelt und auf die Stadt losgelassen wie er es bestimmt in dem Lied heißt, das er sich gerade in die Ohren gestopft hat. Die Sitznachbarin kann das alles hoffentlich auch gut hören. So einer ist der Staucher Peter bestimmt.

Nächste Station. Es riecht nach Bierfahne, die sich nähert, dann aber vorbeigeht, mit schweißigem Nachgeschmack. Das kann schon mal vorkommen, eine morgendliche Bierfahne in der Schnellbahn. Der Mann mit Fahne stellt sich schräg gegenüber hin. In seinen Händen hält er einen Karton. Auf seiner fettigen Jacke ist überall Staubzucker. Im stehen öffnet er die Schachtel und nimmt einen Krapfen heraus und isst ihn so, dass ihm ein Großteil der Vanillefüllung über seinen Mundwinkel rinnt. Vanillekrapfen sind ein recht einfältiger Snack. Warum kann man nicht einfach mit dem Klassiker zufrieden sein: MARMELADE? Er wischt sich mit den Ärmeln ab und verschließt den Karton anscheinend wieder möglichst so, als ob er niemals geöffnet wurde. Das frisch rasierte Gesicht ist wieder sauber, aber er hat nicht bemerkt, dass nicht nur seine Jacke, sondern auch die gute Hose voll ist mit Staubzucker. Die gute Hose, von der die Mama gesagt hat, er soll sie anziehen und eine Bügelfalte hineinbügeln, was er auch gemacht hat, schief zwar, aber immerhin.

Der Staucher Peter schaut verachtend rüber zum Krapfenmann. Er schüttelt den Kopf und versucht, bestätigenden Blickkontakt mit seinen Sitznachbarn aufzubauen. Das kann er genau beobachten. Gerade der Staucher Peter. Selber ist der Staucher Peter ein Krapfenmann, ein ungeheuerlicher sogar. Wenn der Staucher der original Krapfenmann wäre, würde er ihm sogar wünschen, dass eine hungrige Frau ihm die Krapfen alle wegnimmt. Und, dass der Staucher Peter die Krapfen im Auftrag seiner Mama mitnehmen müsste und dann nichts als sein Versagen präsentieren könnte. Zusammen mit einer vollgezuckerten Northface-Jack. Er würde in der Hoffnung, dass ihn seine Mutter trotzdem noch mag, sagen, er hat die Krapfen verloren. Die Mama aber glaubt, er hat sie schon wieder angelogen. Dann würde sie mit erhobener Nase und halb geschlossenen Augen nachfragen, ob es etwa viel schneit bei ihm, wegen der Jacke. Seine Mutter denkt übrigens bestimmt, Mutterliebe ist die beste Form der Nächstenliebe, weil man mit der Liebe zum Kind immer auch sich selbst lieben kann, das soll man ja nicht direkt, weil wir alle sind Sünder, schlecht und habgierig, aber die Kinder sind ja aus einem selbst, man kann sie gefahrlos lieben, so viel lieben, wie man will. Genauer will er das auch gar nicht wissen. Der Staucher braucht sich gar nicht vorm Krapfenmann ekeln. Der Staucher Peter ist der ekelhafteste aller Krapfenmänner.

In der Schnellbahn hat der Staucher noch seine Unterlagen zärtlich ausgepackt. Gerade, dass er sie nicht laminiert hat. Der hat sicherlich eine Laminiermaschine. Immer, wenn der Peter was laminiert, sitzt er mit einem debilen Grinser vor der Laminiermaschine. Ganz bestimmt. Und dann nimmt er das frisch laminierte Dings und freut sich. Es ist so stabil und unzerstörbar. Wie für die Ewigkeit gemacht. Staucher gehört selbst laminiert. Der Peter bemerkt im Besprechungszimmer seinen Blick auf das Eselsohr. Er hört nicht die Ansprache. Mit seinen schwitzigen Händen streicht er immer wieder und immer wieder drüber. Das Papier wird schon ganz feucht. MEINE LIEBEN DAMEN UND HERREN. Und dann schaut der Staucher Peter kurz auf. Er schaut kurz auf und hat so einen unterwürfigen Blick. Wie ein Hunderl. Er schaut dem Peter scharf in die Augen. SPARTANER! Peter fühlt es sofort, er hat versagt. Schon wieder. Er hasst die Uschi. Der Chef schenkt ihm danach einen Krapfen in der Mensa. Bis zum Weltuntergang dauert es eh nicht mehr lange, versprochen. »Hier, hast du einen Krapfen, Mann«, sagt er.

Daheim. Er lässt seine Rollos wieder runter. Dann bereut er, dass er so gemein zum Peter Staucher war. Dann muss er noch einmal ein bisschen Auflachen wegen »Krapfen, Mann«. Der Staucher Peter. Solche brauchts halt auch. Ein netter Kerl.

AD PERSONAM

Maria Hofer zählt zu den interessantesten jungen Literatinnen aus Österreich. Biografisches rückt sie dennoch nicht so gerne heraus. Soll heißen: Man weiß nicht wirklich mehr als das: »Nach unspektakulärer Geburt 1987 und Erziehung in der Steiermark schließlich doch die Matura absolviert. Dann folgten ein Studium an der Universität Wien und zahlreiche andere Begebenheiten.« Eine dieser zahlreichen anderen Begebenheiten heißt »Jauche«, ist im Verlag rde erschienen und ein bissiges 85-Seiten-Debüt. Es steht in der Tradition österreichischer Anti-Heimatromane.

Ein auktorialer Erzähler, wohl ein außenstehender Insider, zoomt darin in kurzen, prägnanten Sätzen in eine bäuerlich geprägte Dorfgemeinschaft. Was es an stereotypen Figuren dafür braucht ist vorhanden. Der Bürgermeister etwa, der gerne betrunken Auto fährt, seine auf perfekte Außenwirkung getrimmte Gattin, ein windiger Vize, bösartige Tratschweiber, oder ein deutsches Ehepaar, das sich in Land und Leute dort verliebt hat. Die bringen dann auch eine kleine Lawine ins Rollen, denn wie so oft am Land, ist die Jauche nicht das einzige was zum Himmel stinkt: »Weil prinzipiell gilt: auf dem Land, da wissen die Leute halt noch ihren Mund zu halten. Es ist fast schon so etwas wie ein Mundhalten-Instinkt. Auf der Alm gibt’s ka Sünd. Das heißt nicht, dass man alles machen kann und ur super dort ist, das heißt nur, wenn man gefickt ist, dann so richtig, weil es jedem wurscht ist. Das kann irritierend sein.«

Ein bissiges Buch, das sich gekonnt Klischees zunutze macht, um die Landenge implodieren zu lassen. Wie das klingt kann man am 12. Dezember um 19.00 Uhr im Flex hören. Dort liest Maria Hofer gemeinsam mit Stefanie Sargnagel und Puneh Ansari.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...